: Freie Fahrt für die konservative Ideologie
■ Trotz interner Querelen und Differenzen agiert die CDU als selbsternannte Reformpartei selbstbewußt in einem nahezu oppositionsfreien Raum / Die Terraingewinne im Ideologischen - Stichwort Sozial
Freie Fahrt für die konservative Ideologie
Trotz interner Querelen und Differenzen agiert die CDU als selbsternannte Reformpartei selbstbewußt in einem nahezu
oppositionsfreien Raum / Die Terraingewinne im Ideologischen - Stichwort Sozial-, Familien- und Deutschlandpolitik
sollen jetzt auf dem Bundesparteitag in Wiesbaden
festgeklopft werden
Von Oliver Tolmein
Während auf Pressekonferenzen im Vorfeld des CDU -Bundesparteitages Einigkeit demonstriert und für die Freiheit, die die Rechten meinen, agitiert wird, geht es im christdemokratischen Alltagsleben turbulent drunter und drüber. Auf der letzten Sitzung der Bundestagsfraktion empörten sich die Abgeordneten über die geplante Steuerbefreiung für Flugbenzin. Weil die CSU dieses dringende Anliegen von Strauß aber zu einem möglichen Bruchpunkt für die Koalition hochstilisiert hatte, trotzdem die Mehrzahl der Anwesenden intern gegen den Regierungsbeschluß stimmte, half nur noch ein Machtwort des Fraktionsvorsitzenden Dregger, der nach einem kurzen Blick über die erhobenen Hände die Mehrheit kurzerhand zur Minderheit erklärte: „Oder besteht jemand auf Abzählen?“
In der auf Betreiben von Arbeitsminister Blüm eingesetzten Arbeitsmarktkommission, die am Dienstag ihre abschließende Sitzung haben sollte, konnte der Konflikt nicht so entschlossen weggeredet werden: Weil sich die Vertreter des CDU-Mittelstandes kategorisch weigerten, irgendeiner Verlängerung der Vorruhestandsregelung zuzustimmen, mußte sich die Runde auf unbestimmt vertagen. Im Konrad-Adenauer -Haus wurden unterdessen Politiker, die sich in der Vor -Parteitags-Woche an die Presse wenden wollten, zu äußerster Zurückhaltung vergattert. Die Bemühung war so erfolgreich, daß sich selbst gutwillige Journalisten nach ihrer Tour von der CDA/JU/Süssmuth-Pressekonferenz zum Stehempfang der Mittelstandsvereinigung fragten, warum sie eigentlich Mikrofon und Notizblock mitgenommen hatten. Und um all diesem Durcheinander die Zipfelmütze aufzusetzen, enthüllt dann auch noch der Chef des Bonner 'Spiegel'-Büros, Dirk Koch, höchstselbst tiefgreifende Differenzen zwischen dem vom Nachrichtenmagazin alle paar Wochen politisch totgesagten Kanzler Kohl und seinem insgeheim geliebten Generalsekretär Geißler, jongliert mit ein paar Namen hin und her und deutet neueste Untergangsgerüchte an. Wenn das kein Grund zur Beruhigung kritischer, soziallinksgrünliberaler Geister ist. Die Reaktion zerrüttet, dem Reformismus eine (leider hohle) Gasse...
Rechte Ideologie
auf Erfolgskurs
Der derzeit angesichts der konfliktreichen Entwicklung der CDU in etlichen Medien heraufbeschworenen Hoffnung haftet allerdings etwas hoffnungsloses an: Die CDU hält derzeit auch die Position der Reformer absolut führend besetzt. Sie ist Regierungspartei und integrierte Opposition in einem, sie ist die Weiterentwicklung der Großen Koalition, der sich diesmal eben keine außerparlamentarische Opposition kraftvoll entgegenstemmt. Die Christdemokraten haben erreicht, wovon der Ex-Bundesgeschäftsführer der SPD, Peter Glotz, nur träumen konnte: Sie sind die hegemoniale Macht in der BRD geworden. Sie haben - Stichwort: Selbsthilfe Konzepte der Alternativen übernommen und in ihr Politikkonzept „Subsidiarität“ eingebunden. Linke Sozialstaatskritik haben sie aufgegriffen Bürokratisierung, Entmündigung - und durch Verbindung mit familien- und bevölkerungspolitischen Maßnahmen als Begründung für eine rigide Spar- und Umbaupolitik herangezogen. Gleichzeitig ist es der CDU gelungen, die Deutschlandpolitik wieder zum allseits diskutierten Thema zu machen, und durch das Zusammenführen der Wiedervereinigungsideen mit einem Eintreten für eine Europäische Union auf eine qualitativ neue Ebene zu heben.
Dieser enorme Terraingewinn im Ideologischen muß berücksichtigt werden, wenn eine Wertung der teilweise hart ausgefochtenen Differenzen im Alltagsgeschäft und der bisweilen, wie in Schleswig-Holstein, herben Wahlniederlagen vorgenommen wird: Nicht weil das eine gegen das andere aufzurechnen wäre, sondern weil nur bei genauer Berücksichtigung der Dimension des von den regierenden Konservativen in Angriff genommenen Projekts ein adäquater Maßstab gefunden werden kann, der er es erlaubt, das Tempo des Fortschritts oder das Ausmaß der Niederlage zu bestimmen.
Der sich auch in der Orientierungslosigkeit der parlamentarischen Gegner widerspiegelnde Erfolg der CDU bei der Rekonstruktion einer rechten Ideologie, die Entsolidarisierung und deutsche Großmachtvorstellungen nicht als alte Klamotten, sondern als moderne Ideen zu präsentieren vermag, ist um so bedeutender, als er einhergeht mit einer rigiden Politik der Beschneidung demokratischer Rechte und tiefer Schnitte ins ohnedies nicht allzu engmaschig geknüpfte soziale Netz. Während ein immer größerer Teil der Bevölkerung von Arbeitslosigkeit betroffen und bedroht, durch Kostendämpfungsmaßnahmen im Krankheitsverwaltungssystem, das den Namen Gesundheitswesen wirklich nicht verdient, ökonomisch belastet und durch die Steuerreform zur Finanzierung von Entlastungsmaßnahmen für Unternehmen und den Mittelstand herangezogen wird, werden dem Kapital insgesamt bessere Strukturvoraussetzungen für den internationalen Wettbewerb geliefert. Dazu gehören auch die fürsorglichen Maßnahmen für den Mittelstand, die sein Überleben garantieren und ihn in die Lage versetzen, Modernisierungsmaßnahmen ohne allzuviel Rücksichten auf Beschäftigte durchsetzen zu können.
Interne Konfliktlinien
In dieser Situation, in der die CDU von keiner Opposition ernsthaft bedrängt wird, treten die internen Konflikte deutlich zutage. Dabei geht es, wie sich im Vorfeld des Parteitages erwiesen hat, keineswegs nur um den Kampf zweier Linien: Modernisierer gegen Traditionalisten. Die Fronten verlaufen weitaus differenzierter. Im Verlauf der vergangenen zwei Jahre hat sich an den Themen Ausländerpolitik und Abtreibung eine weitere einflußreiche Gruppe herausgebildet: die engagierten Christen, die sich als scharfe Abtreibungsgegner auf die rechte Seite schlagen, gleichzeitig aber in der Ausländerpolitik sich dem die konservative Politik bestimmenden Ressentiment verweigern. Oder jemand wie Norbert Blüm: Als Reisender in Sachen Menschenrechte selbst vom DGB hochgelobt, kassiert er auf Tagungen der rechtsextremen Christdemokraten für das Leben großen Beifall und hat sich als Arbeitsminister mit der Verschärfung des Streikrechts einen Namen gemacht.
Auch sonst sind in der Sozial- und Wirtschaftspolitik die Grenzen nicht so klar zu ziehen, wie das beliebte Zwei -Seiten-Schema vermuten läßt: Lothar Späth, dessen Einfluß seit seinem Wahlsieg erheblich gewachsen ist, kann gewiß nicht mit Traditionalisten wie Dregger oder Czaja in einen Topf geworfen werden, und doch ist er einer der am schärfsten gegen den Sozialstaat agitierenden CDU-Politiker. Nicht einmal in der Deutschlandpolitik stimmt das duale Bild, das die Kommentatoren gerne zeichnen: hier die verbohrten Parteirechten ohne Zukunft, da die pragmatische Regierung und die Geißlerschen Modernisierer, die die Partei nach „links“ öffnen wollen. Ausgerechnet Junge Union und die CDU-Sozialausschüsse haben gegen den ersten Entwurf des deutschlandpolitischen Leitantrages Front gemacht, weil er das Ziel Wiedervereinigung nicht deutlich beim Namen genannt hat. Und mit Rupert Scholz ist der für die rechte Ideologie so wichtige Erfinder der Unterscheidung zwischen operativer und normativer Deutschlandpolitik Kabinettsmitglied geworden.
Die unterschiedlich gelagerten Interessen und auch der Einfluß, den die verschiedenen Gruppen auf die Ausprägung der aktuellen Parteipolitik haben, wurden im Vorfeld des Parteitages bemerkenswert deutlich. War der Parteitag mit seinem Schwerpunkt „Schutz des Lebens“ ursprünglich von den AbtreibungsgegnerInnen eingefordert und als Zugeständnis an diesen Flügel gedacht, gelang es im Verlauf der Vorbereitungen den Strategen im Konrad-Adenauer-Haus den Akzent zu verlagern. Die Idee, zusätzlich zum „Schutz des Lebens“ die Außenpolitik zum Thema zu machen, sollte die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit umlenken und gleichzeitig dem Parteitag Gewicht verleihen, indem er zum Quasi -Programmparteitag gemacht wurde. Diese Stoßrichtung wurde, überaus rasch nach Späths Wahlsieg, wiederum abgeändert: Seitdem ist das Thema „Wirtschaftsstandort Bundesrepublik“ ins Zentrum gerückt und damit ein entschiedenes Plädoyer für das Abwerfen von „sozialstaatlichem Ballast“.
Das damit verbundene Bemühen, wieder stärkere Unterstützung und weniger Kritik aus Wirtschaftskreisen zu kassieren, bringt allerdings auch Probleme mit sich. Geißler plädiert mit guten Gründen seit einiger Zeit entschieden für eine Emanzipation der Partei von der Regierung: Die programmatische Arbeit kann zum einen das gewonnene ideologische Terrain dauerhaft absichern, zum zweiten ist eine eigenständiger agierende Partei bei Wahlen nicht so stark auf die Gunst des Augenblicks und die Abwesenheit von Krisen angewiesen. Außerdem erscheint es angesichts der doch zum Teil recht tiefgreifenden Differenzen und der zwar nicht katastrophalen, aber doch gereizten Stimmung innerhalb der Partei notwendig, den Werte-Konsens in Erinnerung zu rufen und, wo nötig, zu renovieren. Die geänderte Akzentsetzung in Wiesbaden wird jetzt dagegen bewirken, daß auf dem Parteitag kaum mehr als Argumentationshilfen für die zu erwartende Regierungspolitik geliefert werden.
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