piwik no script img

Opium erlaubt

■ Mehr Religionsfreiheit in der UdSSR?

Opium erlaubt

Mehr Religionsfreiheit in der UdSSR?

Daß Bischöfe der - offiziell inexistenten - unierten Kirche der Ukraine mit katholischen Kardinälen sprechen konnten, läßt religionspolitische Entwicklungen in der UdSSR erwarten, die der Orthodoxie nicht ganz recht sein können. Die Unierte Kirche wurde 1596 geschaffen, als große Teile der Ukraine zu Polen gehörten. Dessen orthodoxe Untertanen sollten nicht mehr vom russischen Patriarchat abhängen, dem religiösen Arm Moskauer Herrschaft. Die Unierten behielten ihre orthodoxen Riten, wurden geistlich aber dem Papst unterstellt. In allen ukrainischen Gebieten, die danach zu Rußland kamen, wurde das Monopol der russisch-orthodoxen Kirche mit Zwangsmitteln wiederhergestellt. Lebendig blieb die Unierte Kirche nur in jenem Territorium, das 1939 an die Sowjetunion fiel. Als Stalin dort 1946 die Vereinigung mit der Orthodoxen Kirche herbeiführte, hielt er sich also an alte Traditionen.

Eine offizielle Anerkennung der Unierten Kirche wäre jetzt nicht nur ein großer Erfolg des Papstes. Sie würde auch den Entwicklungsstand der Sowjetischen Gesellschaft kennzeichnen: Die Religion wird trotz massenhafter Frömmigkeit offenbar nicht mehr für gefährlich gehalten, weil der eigene, ehemals revolutionäre Enthusiasmus vergangen ist, also nicht mehr konkurriert. Wie überall schließlich würde die Religionsfreiheit anzeigen, daß sich die Gesellschaft säkularisiert hat. Die marxistische Religionskritik hätte sich paradoxerweise hinter dem Rücken ihre Akteure durchgesetzt. Das Volk konsumiert zwar weiterhin Opium, der Staat aber wird clean.Erhard Stölting

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen