DER MENSCH ALS NASSBÄR

■ Menschen im und am Wasser in der Fotogalerie im Wedding

DER MENSCH ALS NASSBÄR

„Menschen im und am Wasser“ in der Fotogalerie im Wedding

Da, wo die Wellen sanft aufs Watt laufen, steht eine hölzerne Bude auf Speichenrädern. Manchmal öffnet sich die schmale Tür zum Meer hin, und eine Dame in einem umständlichen Badekostüm steigt in die Flut. Die Männer grölen. Die Fotografen starren angespannt in die schwarzen Kästen vor ihrem Bauch und betätigen den Auslöser: Badeleben 1905.

Gebadet wird seit Jahrtausenden, fotografiert erst seit 150 Jahren. Die ersten Fotografen stürzten sich durchaus nicht so lustvoll aufs Bademotiv wie die Feriengäste sich ins Meer. Fotografieren war im letzten Jahrhundert so sehr ein Privileg der Wohlhabenden wie eine Reise ins Seebad. Und als die ersten Berufsfotografen ihre Filialen in den Ferienorten am Meer eröffneten, dachten sie nicht an das attraktive Motiv der „Menschen im und am Wasser“, sondern an die dicken Brieftaschen derer, die sich die Ferien auf dem weißen Sand leisten konnten und das auch gerne zeigen wollten. Aufgenommen wurden nicht die Schwimmer, sondern sittsam gekleidete Städter vor unscharf gestellten, gemalten Meereslandschaften - im Fotostudio.

Als die Massen anfingen zu reisen, hatte schon jeder seine Kamera im Koffer. Das Foto war nun nicht mehr die bessere Visitenkarte, sondern das pusselige Vergnügen technik- und bildersüchtiger Amateure. Die damals nach Geschlechtern getrennten Bäder wurden zusammengelegt zu „Familienbädern“, und die meist männlichen Knipser interessierten sich mehr für die luftig bekleideten Damen als für den Badespaß. Frauen fühlten sich belästigt: Am Strand von Ostende wurde das Knipsen verboten.

Die engagierten Fotografen interessierten sich für den sportlichen Aspekt. Sie nutzten die günstigen Lichtbedingungen des Sommers und stoppten die wagemutigen Kopfsprünge junger Männer zwischen dem Absprung und dem Eintauchen. Die so festgehaltenen Wassersportler sehen aus wie krumme Haken, die in ein Landschaftsbild montiert worden sind: Die frühen Fotos zeigen das ganze Drumherum vom Ufer bis zum Horizont. Der Wassersport und der Badespaß sind Ereignisse in der Landschaft.

Je schneller die Fotografie wurde, je kompakter die Apparate ausfielen, desto näher rückten die Fotografen den Badenden auf die Pelle: Die zwanziger Jahre brachten die steile Aufsicht, und Menschen im und unter Wasser wurden zu seltsam schillernden Tieren. Mit der Beschränkung des Blicks (weg vom Horizont, ins Wasser hinein) gelang es der Fotografie erstmals, das Erlebnis des Schwimmers in die Bildersprache zu übersetzen: Im-Wasser-Sein als Teilhaben an einem Urfluidum, der Schwerkraft enthoben, dem vorbewußten Leben in der mütterlichen Fruchtblase so nah wie dem Tod. In der Dichtung, von Benn bis Brecht, wurde die Auflösung des toten Körpers im Wasser melancholisch besungen.

Im letzten Jahrhundert hatten es die Fotografen schwer: Wollten sie nicht das Baden zeigen, sondern die nackte Haut, mußten sie „kunst„voll Nymphenszenen stellen oder in die Dritte Welt reisen, um „Einheimische“ beim Bade aufzunehmen. Mit dem Neuen Sehen wurde das Wasser zum Motivbrunnen der Aktfotografie.

Wasser mußte nun nicht mehr die Nacktheit plausibel machen, das Interesse verschleiern. Der nackte Körper wurde zur konkreten Form, die gegen das abstrakte und unwirkliche Flirren und Leuchten des Wassers gesetzt wurde. Die FKK -Bewegung stellte die formbewußte Fotografie (jedenfalls jene mit Hang zur Stilisierung des „natürlichen, gesunden“ Körpers) in ihren Dienst. So tabu die Kameras am Nacktbadestrand waren, so dringend wurden die gestellten Fotos gebraucht, die in den Verbandsmagazinen mit attraktiven Körpern Lust auf die Freikörper-Sektiererei machen sollten.

So selbstverständlich und allgegenwärtig die Fotografie geworden ist (auch in Ostende besteht das Knipsverbot nicht mehr): Wasserfotos haben immer etwas Seltsames. Vielleicht, weil der technische Apparat gegen Wasser und Sand so empfindlich ist, immer „draußen bleiben“ muß (anders als etwa in der Kriegsfotografie, wo der Fotograf den Schützen simuliert). Es ist das kribbelige Fast-mit-dabei-Sein, was die Fotos von Schwimmern so fesselnd macht für den trockenen Betrachter.

Wer aber von der Fotografie mehr kennt als nur den Apparat, weiß, wo die Affinität der Fotografie zum Wasser wirklich liegt: im Entwicklungsprozeß. Die Entstehung des Bildes erinnnert an das Entstehen aller Dinge.

Während der Fotograf das Fotopapier fürsorglich im Entwicklerbad schaukelt, steigt die dunkle Figur aus der weißen Fläche des Fotopapiers wie das erste Wesen der Schöpfung aus dem Urschlamm. Glitzerndes Wasser oder auf der Haut des Schwimmers perlende Tropfen sehen im getrockneten Bild nie so anziehend und sinnlich aus wie auf dem badenden Foto.

Wenn man sich vorstellt, daß die Fotografen der ersten 30 Jahre ihre Glasperlen selbst beschichten und vor Ort entwickeln mußten, wird klar, daß das Strandleben nicht ihre Domäne sein konnte. Erst nachdem die Trockenplatten erfunden worden waren, nachdem der Aufnahmeprozeß „an Land gegangen“ war, gehörten die Fotografen zum Badeleben wie die Strandburg, der Sonnenbrand, das Eis am Stiel - und was es sonst noch Überflüssiges gibt.Ulf Erdmann Ziegler

„Menschen im und am Wasser“, Fotogalerie im Wedding, Amsterdamer Str.24, 1/65, U-Bahn Seestr., Di-Fr15-19, Sa11 -17, So14-17Uhr, bis zum 12.7.1988