"Diepgen hatte wohl die Contenance verloren"

■ Gestern fand wieder mal ein Prozeß gegen Dieter Kunzelmann statt / Hintergrund ist die spektakuläre Festnahme Kunzelmanns anläßlich eines Gerangels mit Berlins Regierendem Diepgen / Anklage lau

„Diepgen hatte wohl die Contenance verloren“

Gestern fand wieder mal ein Prozeß gegen Dieter Kunzelmann statt / Hintergrund ist die spektakuläre Festnahme

Kunzelmanns anläßlich eines Gerangels mit Berlins

Regierendem Diepgen / Anklage lautet auf Störung der

Tätigkeit eines Gesetzgebungsorgans

Wegen Störung der Tätigkeit eines Gesetzgebungsorgans und falscher Verdächtigung muß sich seit gestern der Aktionspolitologe Dieter Kunzelmann (48) vor dem Amtsgericht verantworten. Hintergund des Prozesses ist die spektakuläre Festnahme Kunzelmanns im Juni '87 anläßlich der Eintragung des schwedischen Ministerpräsidenten Ingvar Carlsson in das Goldene Buch der Stadt im Rathaus Schöneberg am 26.Juni '87.

Kunzelmann wurde seinerzeit per Haftbefehl gesucht, weil er sich in dem damals gegen ihn und drei taz-Redakteure anhängigen Prozeß um ein Interview, in dem der Aktionspolitologe den Senat im Zusammenhang mit dem Korruptionsskandal eine „kriminelle Vereinigung“ genannt hatte, aus dem Staube gemacht hatte. Nachdem er sechs Wochen untergetaucht war, hatte er sich, mit einem Toupee verkleidet, unter die Festgäste gemischt und kurz vor der Ansprache des Regierenden Bürgermeisters Diepgen lauthals das Wort ergriffen. Diepgen hatte den früheren AL -Abgeordenten offensichtlich sofort erkannt, sich auf ihn gestürzt und in eine Rangelei verwickelt, die erst durch Kunzelmanns Abtransport aus dem Saal beendet wurde. Nicht genug damit, daß das damals von Kunzelmann gegen einen der Beamten angestrengte Ermittlungsverfahren wegen eines Tritts eingestellt worden war, zimmerte die Staatsanwaltschaft daraus auch noch den Anklagevorwurf der falschen Verdächtigung.

Kunzelmann, der gestern mit einem hellen, zum Sommerjacket passenden Strohhut und Sonnenbrille vor Gericht erschien, nahm wie immer kein Blatt vor den Mund. Zunächst wunderte er sich darüber, daß sein damaliger Haftbefehl sieben Wochen lang nicht vollstreckt worden war, habe er sich doch in der Stadt bewegt „wie immer“. Nachdem er auf einer AL Vollversammlung einen Beitrag gehalten habe und sich auf dem beim Reagan Besuch nur so von Polizisten und Zivis wimmelnden Ku'-Damm herumgetrieben habe, habe er sich entschlossen, sich selbst zu stellen. „Nur einfach auf ein Polizeirevier zu gehen, war mir zu langweilig“. „Es war mir klar, daß ich mich in Anwesenheit von Mitgliedern der von mir so bezeichneten kriminellen Vereinigung stellen wollte“. Da sei die offizielle Einladung zum Empfang des schwedischen Ministerpräsidenten gerade recht gekommen.

Doch kaum, daß er auf dem Podium zu einer Begrüßung des Schweden angehoben und ein, zwei Sätze zur Abriegelung Kreuzbergs gesagt habe, so Kunzelmann, habe Diepgen „die Contenance“ verloren: „Er stürzte auf mich zu und wollte mir an die Wäsche“. „Mir war die Situation ausgesprochen peinlich“, fuhr Kunzelmann fort. Er habe „ausschließlich“ versucht, den Attaken Diepgens auszuweichen, denn: „Für mich ist der Regierende der Prototyp des zynischen und machtgeilen Politmanagers, mit solchen Leuten prügele ich mich nicht“. Wenn die Staatsanwaltschaft unbedingt jemanden anklagen wolle, dann solle sie sich an Diepgen halten. Er, Kunzelmann, sehe nicht, daß er für die „schlechten Nerven, die mangelnde Souveränität, die burschenschaftliche Schlägermentalität und das aufgeblasene Machtgehabe des Regierenden“ den Sündenbock spielen solle. Gegen Carlsson hingegen, so Kunzelmann, habe er nichts, und habe sich deshalb bei diesem auch schriftlich entschuldigt. Er habe aber den Eindruck gehabt, daß Carlsson „die Geschichte völlig locker genommen hat“.

Kunzelmanns Anwalt, Ehrig, hatte zu Beginn des Prozesses einen Antrag auf Einstellung des Verfahrens gestellt, der vom Gericht jedoch zurückgewiesen worden war. Die Anklage, „Störung der Tätigkeit eines Gesetzgebungsorgans“, so Ehrigs Argumentaion, entspreche nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil es sich bei dem Staatsakt, der Eintragung in das Goldene Buch, um keine Tätigkeit eines Gesetzgebungsorgans gehandelt habe. Es sei nur ein Empfang des Regierenden Bürgermeisters gewesen, bei dem die Abgeordneten allenfalls als Zuschauer beteiligt gewesen seien. Das habe anscheinend auch die Staatsanwaltschaft erkannt, denn warum sonst, so Ehrig, habe sie bei der Generalbundesanwaltschaft um die Übernahme des Verfahrens wegen Verdachts der Nötigung eines Mitglieds einer Landesregierung ersucht.

Nachdem gestern die ersten drei von sechs Beamten, die bei der Festnahme zugegen waren, vernommen wurden, soll der Prozeß am kommenden Dienstag fortgesetzt werden. Über einen Antrag der Verteidigung auf Ladung von Diepgen und Carlsson wurde noch nicht entschieden.plu