"Einen Strich ziehen"

■ Volker Kröning, Bremer Justizsenator, zum SPD-Vorschlag für ein Amnestie-Gesetz für Blockierer

I N T E R V I E W „Einen Strich ziehen“

Volker Kröning, Bremer Justizsenator, zum SPD-Vorschlag für ein Amnestie-Gesetz für Blockierer

taz: Lafontaines Amnestie-Vorschlag bedeutet: Mutlangen -Blockierer gehen straffrei aus, aber die Arbeiter von Rheinhausen werden für die Brücken-Blockade nicht begnadigt.

Kröning: Das ist eines der Probleme. Der Vorschlag betrifft eine enge zeitlich und räumlich abgegrenzte und auch abgeschlossene Fallgruppe. Schon ein Protest gegen andere Massenvernichtungsmittel, etwa in der Pfalz gegen die Chemie -Waffen oder andere existenzbedrohende Entwicklungen, wird nicht erfaßt. Er will darauf reagieren, daß verwerflich und Gewalt sein soll, was inzwischen von der internationalen Politik anerkannt und als Erfolg gepriesen wird. Wir haben uns jetzt dafür eingesetzt, daß dieser Vorstoß nicht eine neue Ungerechtigkeit gegenüber anderen Protestbewegungen erzeugt. Das gilt für die Arbeiter von Duisburg, aber auch für den Protest gegen das Apartheid-Regime in Südafrika.

Ihr Vorschlag heißt also Straffreiheit auch für die Blockaden gegen das AKW-Brokdorf?

Ja, soweit dies nicht mit anderen Straftaten verbunden war, wie Sachbeschädigung oder Körperverletzung. Wir sind gespannt darauf, wie die CDU/CSU/FDP-geführten Länder darauf reagieren werden, da allgemein der unklare Rechtszustand unter dem Paragrafen 240 StGB beklagt worden ist. Alle Bundesländer hatten mit Basisprotest zu tun und keines von ihnen wollte ihn politisch oder moralisch diskriminieren.

Bayern weniger...

Nein, Bayern gerade. Strauß hat diesen Protest legitimiert und die bayerischen Strafverfolgungsorgane sind erstaunlich flexibel darauf eingegangen. Deshalb gebe ich einer solchen „Rechtsunsicherheits-Amnestie“ einige Chancen.

Die Amnestie soll sich ausschließlich auf Aktionen beziehen, die vor dem BGH-Urteil, also vor dem 13. Mai stattfanden. Und was danach war, wird abgeurteilt?

Das wirft die Frage auf, wie man mit der Rechtsprechung nach dem BGH-Urteil umgeht. Da der Bundesjustizminister dessen Rechtsprechung gesetzgeberisch festschreiben will, werden wir auch einen Vorschlag ausarbeiten zur Neufassung des Nötigungs-Paragraphen.

Einen Vorschlag, den §240 ganz zu streichen, gibt es nicht?

Ich bin dagegen. Wir haben uns in den letzten zwanzig Jahren in unserer politischen Kultur sehr mit dem Gewaltbegriff abgemüht - ich glaube mit Fortschritten. Wir haben mit zunehmendem Erfolg den Gedanken der Friedlichkeit beim Massen- und auch beim Einzelprotest durchgesetzt.

Bei den Nazis war das Kriterium für strafbare Nötigung das „gesunde Volksempfinden“, im BGH-Urteil ist es das „Rechtsempfinden“. Welches Kriterium wollen Sie in Zukunft aufstellen?

Man könnte weniger ethisch und autoritativ, dafür offener und demokratischer die Erfüllung der Rechtswidrigkeit davon abhängig machen, daß die Anwendung von Gewalt „sozial unangemessen“ ist. Das stellt auf die Spielregeln des Gemeinschaftslebens ab. Wir haben hier Gelegenheit, einen Strich unter die Proteste der letzten Jahre zu ziehen - aber nicht, damit er in Vergessenheit gerät. Ziviler Ungehorsam sollte trotzdem nicht zur kleinen Münze werden. Vor diesem Hintergrund wäre es ein Zeichen von Lernfähigkeit der Politik - und das ist wahrscheinlich zu schön, um wahr zu sein.

Interview: Dirk Asendorpf