Selbstbetrug

■ Die Arbeitszeit im Öffentlichen Dienst

K O M M E N T A R E Selbstbetrug

Die Arbeitszeit im Öffentlichen Dienst

Die Führung der ÖTV wollte im März einen vorzeigbaren Erfolg präsentieren. Ihr kam es darauf an, eine konkrete Vereinbarung über Arbeitszeitverkürzung unter Dach und Fach bringen, ein in der Öffentlichkeit gegebenes Wort politisch einzulösen. Die eineinhalb Stunden stufenweiser Arbeitszeitverkürzung konnten bei wohlwollender Betrachtungsweise als ein solcher Erfolg verstanden werden. Jetzt zeigt sich, daß dieser Erfolg auf Sand gebaut ist ein politisches Signal auf Basis einer organisationsinternen Täuschung.

Irgendwann wäre das böse Erwachen ohnehin gekommen. Vielleicht hat man gehofft, es käme erst nach dem Gewerkschaftstag in der nächsten Woche. Wie auch immer: Die ÖTV-Vorsitzende Wulf-Mathies und der Tarifpolitiker Willi Hanss haben nach dem Tarifkompromiß nicht den Mut gehabt, der Tarifkommission und den Mitgliedern unmißverständlich offenzulegen, daß der Konflikt um den Paragraphen 15 (7) nicht gelöst, sondern ausgeklammert wurde. Ein schlimmer Vorgang, denn er stellt nicht nur im nachhinein die erreichte Arbeitszeitverkürzung für viele Bereiche ernsthaft in Frage. Er legt den Verdacht nahe, daß der Abschluß vom März nur deshalb zustandegekommen ist, weil die ÖTV-Führung in diesem Punkt zurückgewichen ist.

Wenn die Gewerkschaft nun verlauten läßt, sie werde sich einer nachträglichen Revision der Tarifergebnisse widersetzen, ist dies ein hilfloser Versuch zur Schadensbegrenzung. Vielleicht gelingt es bei den ausstehenden Verhandlungen, eine für die Gewerkschaft akzeptable Formulierung des 15 (7) durchzusetzen. Aber der politische Schaden, der Verlust der ÖTV-Spitze an politischer Glaubwürdigkeit innerhalb und außerhalb der Organisation bleibt.Martin Kempe