piwik no script img

Galgenfrist für die "Sharpeville Six"

■ Das Oberste Gericht Südafrikas hat Wiederaufnahme des Gerichtsverfahrens gegen die sechs zum Tode verurteilten Schwarzen abgelehnt Vor dem 19. Juli dürfen sie nicht gehenkt werden / Kaum noch Chancen

Galgenfrist für die „Sharpeville Six“

Das Oberste Gericht Südafrikas hat Wiederaufnahme des

Gerichtsverfahrens gegen die sechs zum Tode verurteilten

Schwarzen abgelehnt

Vor dem 19. Juli dürfen sie nicht gehenkt werden / Kaum noch Chancen / Schwache Reaktionen bundesdeutscher Politiker

Von Thomas Schmid

Berlin (taz) - Die weißen Richter von Pretoria wollen die sechs Schwarzen hängen sehen. Gestern lehnte der Oberste Gerichtshof von Südafrika einen Antrag zur Wiederaufnahme des Gerichtsverfahrens gegen die „Sechs von Sharpeville“ Sefatsa, Mokoena, Diniso, Theresa Ramashamola, Khumalo und Mokgesi - ab. Gleichzeitig verlängerten die Herren in Talar den Aufschub der Hinrichtung um weitere fünf Wochen. Die Galgenfrist läuft nun am 19. Juli ab.

Richter W.J. Human, der die Sechs im Dezember 1985 zum Tode und zusätzlich zu acht Jahren Gefängnis verurteilt hatte und jetzt wieder das Urteil fällte, meinte, es gebe genügend „unstrittige Beweise“ für die Schuld der Sechs. Den strittigen Beweisen wollte das Gericht keine Bedeutung beimessen. Die Verteidigung hatte die Wiederaufnahme des Verfahrens gefordert, weil einer der beiden staatlich geschützten Kronzeugen seinem Anwalt gegenüber versichert hatte, unter Folter falsche Aussagen gemacht zu haben.

Die Verteidigung will, so Rechtsanwalt Prakash Diar, in gleicher Sache an den „Chief Justice“ (Präsident des Berufungsgerichts und höchster Richter des Landes) wenden. Sollte auch dieser - wie erwartet - negativ entscheiden, bleibt nur noch ein Gnadengesuch an den Präsidenten des Rassistenregimes. Und dieser hatte ein erstes Gnadengesuch bereits am 8. Januar dieses Jahres abgelehnt.

So geht in Pretoria nun also alles seinen rechtsstaatlichen Gang - bis zum Galgen. Die „Sechs von Sharpeville“ wurden wegen Mordes verurteilt, ohne daß einem von ihnen eine Tatbeteiligung nachgewiesen worden war. Es ist rechtens. Das 1982 verabschiedete „Gesetz Nr. 74 zur inneren Sicherheit“, läßt es zu. Das Strafrecht spricht vom „common purpose“, der Tatbestand der „gemeinsamen Absicht“ reicht aus.

Den sechs Todeskandidaten unterstellte das Gericht „gemeinsame Absicht“, nachdem im September 1984 der stellvertretende Ortsvorsteher von Sharpeville, Dlamini, umgekommen war. Anläßlich eines Massenstreiks von Arbeitern und Studenten war es in der 70 Kilometer südlich von Johannesburg gelegenen Stadt zu einem Protestmarsch gekommen. Fortsetzung auf Seite 2

FORTSETZUNGEN VON SEITE 1

Sharpeville...

Als der Zug das Haus Dlaminis passierte, der wie alle schwarzen lokalen Verwaltungsbeamten von der weißen Regierung eingesetzt worden war, flogen Steine. Die Polizei löste die Demonstration auf und bot Dlamini Polizeischutz an. Dieser lehnte ab. Als sich 15 Minuten später die Menge wieder vor Dlaminis Haus einstellte, trat dieser mit einer Schußwaffe in der Hand aus dem Haus und feuerte wahllos in die Menge. Mehrere Teilnehmer des Protestmarsches wurden verletzt. Als Dlamini danach flüchtete, wurde er von aufgebrachten Schwarzen bewußtlos geschlagen, in sein Auto gezerrt und dort zusammen mit dem Fahrzeug verbrannt.

Nachdem das Urteil gegen die „Sechs von Sharpeville“ gestern bei einer Anhörung der SPD-Fraktion zu Südafrika publik wurde, forderte Günter Verheugen, Südafrika-Experte der Partei, „daß die Bundesregierung in der schärfsten denkbaren Weise auf den südafrikanischen Präsidenten Botha einwirkt, an dem es nun liegt, durch eine Begnadigung die Vollstreckung der Todesurteile zu verhindern“. Was für ihn schärfstenfalls denkbar ist, sagte Verheugen nicht. Südafrikanische Kirchenführer haben im Mai den EG-Staaten „als längst überfälliges minimales Aktionsprogramm“ unter anderem vorgeschlagen, ein Import-Embargo für Kohle aus Südafrika zu erlassen und Kredite aus ihren Ländern zu verhindern. Die bundesdeutschen Grünen haben die Einstellung der Hermes-Bürgschaften für Kredite an Südafrika und den Boykott des Rassistenregimes durch die staatliche „Kreditanstalt für Wiederaufbau“ (KfW) gefordert. Vieles ist also „denkbar“, um zu verhindern, daß die „Sechs von Sharpeville“ - und 52 weniger prominente Todeskandidaten gehenkt werden wie 168 Südafrikaner im vergangenen Jahr.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen