Video als Waffe

■ Schatila - auf dem Weg nach Palästina / Reflexion über die Entstehung und Hintergründe eines Videos

Schatila - auf dem Weg nach Palästina ist ein ungewöhnliches Dokument geworden, ungewöhnlich in der Entstehungsgeschichte, außerordentlich als Zeitdokument. Hier ist etwas passiert, von dem wir lange Zeit nur noch im Konjunktiv gesprochen haben. Video als Waffe, als Verteidigungsinstrument zum Beispiel, Video als Ausdruck eigener Notsituation. Programmatischer Ausdruck der Anfänge einer politischen Videoarbeit in der Bundesrepublik. Aber da ist es eng geworden heute. Gründe finde man viele. Gute? Vielleicht?

Wo radikale Veränderungen nicht angezeigt sind, ist ein radikales Kino nicht denkbar, schreiben Filmkritiker. Nur: Müssen wir das akzeptieren? Video hatte die Chance, nicht nach einer direkten Verwertung fragen zu müssen. Die Akzeptanz seiner Notwendigkeit würde genügen, um ihn zu produzieren. Das war auch die Praxis der in der BRD arbeitenden Gruppen. Damals! Damals?

Mit Schatila hat uns etwas eingeholt, an das wir schon nicht mehr geglaubt hatten. Videoeigene Möglichkeiten, die sich politisch begründen lassen, ein nur mit diesem Medium möglich gemachter Ausdruck, der jede geschmäcklerische Anmerkung über Auflösung, Formatgröße, Kameraführung ad absurdum führt. Formalästhetische Fragen spielten bei der Überlegung, diesen Film zu machen, anfangs gar keine Rolle. Aber bleiben wir einen Augenblick bei der Frage der Kameraführung.

Ein Amateur zeigt uns, wie gefilmt werden kann, wenn man mitlebt, mit dem zu tun hat, was man dokumentiert, wie genau eine Kamera geführt werden kann, auch wenn man sie zuzm ersten mal führt. Qualitäten, die niemand glaubt bis er sie gesehen hat und - die jeden sogenannten Profi blaß werden lassen. Ich denke, es ist die Haltung, die dahinter steckt, nicht Ausbildung, die ein Bild überzeugend machen. Wir sind mittendrin, ohne angefangen zu haben. Von vorne.

Es geht um den dritten Lagerkrieg der Amal gegen die palästinensischen Flüchtlingslager in Beirut vom Oktober 1986 bis zum Januar 1988. Dort haben, eingegraben unter einer Ruinenlandschaft und Trümmerbergen in Bunkern und unterirdisch angelegten Gängen, 4.000 Menschen permanenter Bombardierung und totaler Belagerung widerstanden. Viele kämpften dort mit Waffen. Andere setzten ihre Kräfte im unterirdisch angelegten Lazarett ein. Wiederum andere organisierten die Lebensmittelversorgung. Einer filmte. Zum ersten Mal in seinem Leben hält er eine Kamera in der Hand, hat Angst, kaum Kenntnisse, aber eine Ahnung der Notwendigkeit dieses Tuns und beginnt, mit seiner Home-Video -Kamera zu drehen.

Da fällt mir ein: Kürzlich hat mir eine Freundin im Gespräch erzählt, daß sie einen Film über Kriegs-Kameramänner machen will. Sie sprach während ihrer Recherche auch mit einem hochdekorierten DDR-Kameramann, der ihr mitteilte, daß er während der Arbeit nie versagt habe. Fast jedes seiner Bilder, die er während des Zweiten Weltkrieges gemacht habe, sei scharf, sei brauchbar gewesen; nie hätte er großen Ausschuß, ein großes Materialverhältnis gehabt. Auch habe er alles gemacht, was er aufgetragen bekommen hat. „Dies war mein Job, mein Auftrag, den ich so gut ich konnte, ausgeführt habe.“ Daß ihm dabei der linke Arm weggeschossen wurde, als er aus einem Panzer in Schußrichtung, sozusagen aus der Subjektiven des Panzergrenadiers, gilt eher als Auszeichnung als Reflektionshintergrund eigenen Handelns. Wie jämmerlich, wie arm müssen diese Bilder erscheinen neben diesen, die aus Angst sich verstecken hinter den Mauern und Ruinen, die aufgeregt wackeln und die auch mal ausgehen, wenn ein Schuß ganz in der Nähe fällt. Was für eine Qualität die Unschärfen, die angeschnittenen Personen im Bildausschnitt und das Wackeln beim Davonrennen vorm Bombardement haben (müssen), auch wenn die Stativaufnahmen, der künstlich dramatisierte Blickwinkel, die aufgebaute, verlogene Emotionalität der „professionellen“ kriegsausbeuterischen Bilder der Dokumentaristen im Auftrag der obersten Heeresführung nicht zum Vergleich stehen.

Zurück zu Schatila. Der eingenommene Blick des Zuschauers ist nach dem Film unweigerlich derselbe wie Jussufs, der die Kamera führte. Ich entdeckte mich in einer Körperhaltung, die Vorsicht signalisierte. Man ist wachsam, verdeckt und für alles Unvorgesehene vorbereitet. Da immer aus einem Loch, hinter einer schützenden Mauer, in gebückter oder rennender Haltung gefilmt wurde, nimmt diese, durch die Umstände konsequent eingehaltene Blickhaltung Besitz auch vom Betrachter dieser Bilder. Man kann sich nicht entspannt in den Sessel lehnen, sich Krieg vorführen lassen wie ein Halmaspiel. Die Authentizität dieser Bilder entläßt niemand aus seiner Verantwortung, nämlich Haltung zu beziehen. Spürbar wird die Angst, die Aufgeregtheit, die Spannung, die in der Luft lag und, verdammt, noch immer an jedem Kriegsschauplatz liegt. Aus dieser Perspektive ist ein erklärendes Darüberweghuschen, hier blabla, auf der anderen Seite blabla, werter Zuschauer, noch immer herrscht blablabla, alles abgesperrt, keiner kann den Sperrgürtel...

Der nächste Punkt. Diese Bilder sollte eigentlich niemand sehen. Noch immer wird militärisches, polizeiliches oder politisches Sperrgebiet, was eine Öffentlichkeit nicht sehen soll (wie sonst ist die Bannmeile um Parlamente zu verstehen?). Noch hätte diese Bilder jemand filmen können und noch weniger hätte diese Bilder jemand gefunden, der von außen kommend, die „Angelegenheit“ mal hätte anschauen wollen, so mal im Vorbeigehen, wie das so üblich ist im Fernsehalltag. Bericht auf den Hügeln vor Beirut, im Hintergrund qualmen noch die letzten Häuser, der Kommentator hat ein leichtes Zittern in der Stimme, wir sind life dabei. Diese Praxis versperrt den Blick, sieht nur, was gesehen werden soll, und Spannung herrscht nur dort, wo das Blut noch warm ist. Liegen die Leichen schon Tage, ist die Aktualität vorbei und damit das Interesse, das vermeintliche Zuschauerinteresse. An einem anderen Ort dieser Welt dampfen schon neue, vom Hunger aufgequellte Bäuche, die, im Zwei -Minuten-Spot gezeigt werden müssen.

Ich erinnere mich an einen solchen Spot aus dem Libanon, der erst vor kurzem durch die Nachrichtensendungen der deutschen Fernsehanstalten gegangen ist: Ein CBS-Team hatte in einer längeren Einstellung eine Szene festgehalten, in der zwei israelische Soldaten zwei am Boden kauernde Palästinenser prügeln und ihre angestaute Aggression an den beiden gefangenen Männern loswerden. Zuerst wird mit Stiefeln und Fäusten auf sie eingeschlagen, dann werden Steine aufgehoben und mit diesen Kopf, Arme und Brust der beiden Wehrlosen malträtiert, wie der Kommentar sagt, über eine geschlagene Stunde hinweg. Die Kamera beobachtet dies aus großer Entfernung mit langer Brennweite und unverändert starrer Position. Gesendet wurde etwa 30 Sekunden dieser Einstellung. Die Wirkung auf ein weltweites Publikum war extraordentlich! Empörung, Entsetzen und Proteste waren die Folge. Warum, frage ich mich, bei einer einzigen Einstellung aus dem Kriegsalltag, wo doch tagtäglich der Krieg aus aller Welt in die Fernsehhaushalte flimmert?

Klaus Kreimeier schreibt in seiner Glosse Fernsehalltag in EPD-Film, daß diese zwanzig oder dreißig Sekunden Fernsehzeit zur Kriegsrealzeit wurden. „Daß dieses Bild länger unbegrenzt länger stehen konnte; daß diese Bewegungen weitergehen könnten; daß dieses Schlagen und Treten nicht aufhören könnten: Das ist das Furchtbare.“ In Schatila hat das monatelang nicht aufgehört. Nur hat es keiner gesehen. Auf einer Freiburger Mauer steht gesprüht: Stell dir vor, es gibt Krieg und der Fernseher geht kaputt.

Klaus Kreimeier schreibt weiter: “... der israelische Kommandeur in Westjordanien sei, so sagte er, durch diesen Film schockiert worden: Es habe ihm die Sprache verschlagen. Seitdem Bilder wie diese nicht mehr davor sicher sind, auf der ganzen Welt verbreitet zu werden, sind auch die Machthabenden nicht mehr davor sicher, gelegentlich Dinge sagen zu müssen, von denen sie meinen, daß die ganze Welt sie von ihnen hören will - und danach ihr Handwerk mit befreitem Gewisssen fortsetzen können.“ Inzwischen ist das Fernsehen dort ausgeschlossen, wie in Südafrika. Bilder aus diesen Arkanbereichen, aus dem der Öffentlichkeit entzogenen Bereichen, sind nur möglich, wenn Clandestin oder aus dem Widerstand herausgefilmt wird. Und das können nur die Betroffenen selbst. Die Wirkung dieser Bilder sind, und das zeigt das zitierte Beispiel (dieser einen Einstellung) gewaltig. Weil sie querliegen zum Hochgeschwindigkeitsrhythmus sonstiger Berichterstattung; weil sie ihr eigenes Interesse vertreten und nicht das irgendeiner Verwertung untergeordneten; weil sie so nah am Gegenstand sind, daß niemand sich entziehen kann. Man muß sich das einfach einmal vorstellen: Da sitzt in einem Elendsviertel mitten in Beirut ein Videohändler, der wie alle anderen 4.000 Palästinenser durch eine Totalblockade von außen und unaufhörlichem Beschluß und Bombardierung, alles verloren hat. Einzig eine Videokamera, die er retten konnte. Über sechs Monate hinweg kommt keiner rein oder aus aus dem Lager. Und er beginnt, wie gesagt, diesen Krieg zu dokumentieren. Von innen. In der letzten Phase dieses Lagerkriegs, in der Hunger, Seuchen und der noch zunehmende Beschuß ihren Höhepunkt erreicht haben, muß es für ihn so erscheinen, als ob er das Vermächtnis der Flüchtlinge im Lager für die Nachwelt festhält, er sein eigenes Testament filmt, wenn man so will. Die Konzentration, sein Blick, bestimmt das Überleben unter Trümmern, die Verletzten und die Toten; das Notlazarett und die Bunker, die nur unzureichend Schutz vor Bomben bieten. Und er weiß, daß er der einzige ist, der dies alles festhält. Denn die in dieser Situation Mächtigeren tun alles, um zu verhindern, daß nur ansatzweise etwas von dieser Tragödie nach außen dringt. Sie wissen, warum!

Kriege, die nicht aufhören, nutzen sich ab. Es genügt in der Tat, wie Kreimeier schreibt, Zwei-Minuten-Spots, um daran zu erinnern, daß sie noch immer nicht zu Ende sind.

Wir haben dieses Material einige Monate nach diesem Krieg bekommen, von einer Mitarbeiterin bei medico international, die das Material aus dem Lager geschmuggelt hat. Geschmuggelt, denn noch immer geht nichts hinein oder hinaus, noch immer ist ein militärischer Sperrgürtel um das Lager.

Ein 50ig-minütiges Dokument entstand, das mehr ist als nur die Chronik eines Krieges. Auf Video. (Wie die Dokumentarfilme aus den Kampfgebieten Mittelamerikas, aus Chile unter einer Diktatur oder aus El Salvador aus der Guerrilla auch auf Video entstehen.)

Es gilt deutlich zu machen, daß niemand vor solchen Bildern sicher ist, daß sie die Herrschenden in Zugzwang bringen. Denn noch etwas ist klar: Ohne eine kollektive Struktur bleibt der Einzelne isoliert. Es ist unsere Aufgabe, diese Isolation der Einzelnen aufzuheben, sie in Beziehung zu setzen, um erfolgreich gegen Blockaden jedweder Art vorzugehen. Das alles spielte mit, als wir uns entschieden, diesen Film zu machen. Und die Kraft des Videobildes nicht nicht das Vorspiel fürs Eigentliche, den Film auf Zelluloid, der nachkommt. Wir müssen begreifbar machen, auch über die Barrieren der Ignoranz mancher Cineasten oder Fernsehhierarchen, daß eine Verbreitung, eine neue Form der Suche nach Öffentlichkeit Möglichkeiten geboten wird. Auf Video. Thomas Reuter

Verleih: Medienwerkstatt, Konradstraße 20, 7800 Freiburg

medico international, Obermainanlage 7, 6000 Frankfurt 1

Vertrieb: Medienwerkstatt Freiburg