Die Eifel mit Granaten, Giftgas und TNT

■ Ex-Munitionsfabrik sorgt für Wirbel / Behörden sind ahnungslos / TNT-Klumpen liegen auf freiem Feld / Auch Vorkommen von Giftgaskampfstoffen nicht ausgeschlossen / Verteidigungsministerium lehnt Räu

Die Eifel mit Granaten, Giftgas und TNT

Ex-Munitionsfabrik sorgt für Wirbel / Behörden sind

ahnungslos / TNT-Klumpen liegen auf freiem Feld / Auch

Vorkommen von

Giftgaskampfstoffen nicht ausgeschlossen /

Verteidigungsministerium lehnt Räumung wegen mangelnder

Kapazitäten ab

Von Felix Kurz

Hallschlag/Kehr (taz) - Der 41jährige Heilpraktiker Gunther Herrwagen fackelte nicht lang. Mit einem Klappspaten buddelte er auf dem Gelände der Gemeinde Kehr in der Eifel an einer Stelle, an der „nichts wächst“, gerade einen halben Meter tief und schon wurde er fündig. Die kristalline, gelbliche, ca. 10 Zentimeter dicke Masse, war leider kein Gold, sondern Sprengstoff in Reinkultur, TNT. Auf weniger als einem halben Quadratmeter sammelte Gunther Heerwagen eine ganze Einkaufstüte voll des explosiven Materials. Verödete Stellen gibt es auf dem 22 Hektar-Territorium der ehemaligen Munitionsfabrik bei Hallschlag zuhauf und in fast jeder Größe.

Doch man muß gar nicht erst extra nach dem hochgiftigen Trinitrotoluol(TNT) graben. Kinder der umliegenden Gemeinden Kehr und Hallschlag brachten immer wieder mal von dem frei zugänglichen Areal die explosiven Souvenirs mit nach Hause. Manch Eifeler nutzte sie regelrecht als Feueranzünder.

Der Bauer Klaus Quetsch bewirtschaftet neben dem Gelände seine Äcker. „Immer beim Pflügen“, erzählt er, habe er „haufenweise Granaten zutage gefördert“. In früheren Jahren sammelten er und seine Freunde kiloweise Bleikugeln und Edelmetallzünder und verdienten sich so ein paar Mark beim Schrotthändler.

Heerwagens Schürffunde und Quetschs Granaten-Ernte haben eine gemeinsame Ursache: eine Kampfgas- und Munitionsfabrik aus dem ersten Weltkrieg. 1913 erbaut, flog sie mit Getöse 1920 in die Luft. Rund 2.000 Menschen arbeiteten damals in dem so geheimgehaltenen Rüstungsbetrieb, daß selbst die Alliierten diesen nach dem 1. Weltkrieg nur durch Zufall entdeckten.

Seit dem großen Knall vor 68 Jahren kümmerte sich kaum jemand um das Gelände. Inzwischen jedoch riefen die Grünen in Rheinland-Pfalz die vergessene Zeitbombe und auch die zuständigen Behörden aus ihrem Tiefschlaf. Denn, daß es sich bei der Ruine und ihren unterirdischen Stollengängen um eine Altlast mit bedrohlichem Charakter handelt, ist zumindest für Gunther Heerwagen klar.

Er vermutet, daß in dem bis heute nicht geöffneten Katakomben der Ex-Fabrik noch chemische Kampfstoffe und andere hochgiftige Materialien liegen. Anders, so Heerwagen, könne man wohl kaum erklären, wieso auch 68 Jahre nach der Katastrophe, an vielen Stellen jegliche Vegetation fehlt.

Auch die rheinland-pfälzische Landesregierung kann nicht ausschließen, daß in dem Stollensystem unter dem ehemaligen Firmengelände Giftgase sowie umweltrelevante Chemikalien lagern. Das jedenfalls erklärte Innenminister Rudi Geil(CDU) dem Grünen Landtagsabgeordneten Harald Dörr schriftlich.

Unterlagen über die Weltkriegs-Munitionsfabrik Hallschlag/Kehr gibt es kaum. Lediglich aus dem Jahre 1928 soll es nach Angaben des zuständigen Sachbearbeiters im Innenministerium ein „Abschlußprotokoll des Gewerbeaufsichtsamtes Trier“ geben. Seiner Meinung nach sei zwar von dem Gelände „keine Gefahr“ zu befürchten, doch die Stollen und auch eine Art unterirdischer Bunker neben den Ruinen, der verschlossen ist, will man noch nicht öffnen. Der Grund: „Wir wissen nicht, was da drin ist“.

Bei der Kölner Fa. Meissner, dem aktuellen Eigner der Ruinen und im Rüstungsgeschäft nicht unbekannt, hält man es angesichts dort gefundener typischer Öfen sogar für „denkbar“, daß dort Kampfgas für den 1. Weltkrieg produziert worden ist.

Das rheinland-pfälzische Innenministerium hat sich wegen der drastischen Funde inziwschen hilfesuchend an das Bundesverteidigungsministerium gewandt. Wegen mangelnder Kapazitäten lehnte Bonn ab. Ganze fünf Personen sind in Rheinland-Pfalz für den Kampfmittelräumdienst zuständig.

Doch auch der ist nur mit dem „Aufräumen“ von Munition beschäftigt, keinesfalls jedoch zur Beseitigung von vergammelten C-Waffen oder chemischen Altlasten, die bei der Rüstungsproduktion anfallen, ausgestattet.