Spaltung oder punktuelle Zusammenarbeit?

■ Auf dem Strategiekongreß der Grünen steht die Krise der Partei im Mittelpunkt

Spaltung oder punktuelle Zusammenarbeit?

Auf dem Strategiekongreß der Grünen steht die Krise der

Partei im Mittelpunkt

Vom morgigen Donnerstag abend bis Sonntag mittag wollen die Grünen versuchen, sich in einem Diskussionsmarathon am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen. Die Frage im Hintergrund ist klar: Gibt es noch ein gemeinsames Projekt Grüne Partei, oder wird bereits die Konkursmasse versteigert? Dazu Carl Amery: Die Grünen müssen sich auf das Wesentliche besinnen.

„Es gibt keinen Zeitpunkt für einen Grünen -Perspektivkongreß, der weit genug weg ist vom Streit zwischen Führungspersonen in der Partei.“ Als Regina Michalik vom Grünen-Vorstand dies sagte, meinte sie noch den heiß diskutierten Konflikt um das Vergewaltigungsstrafmaß. Jetzt haben die Beschuldigungen, der Vorstand wirtschafte in die eigene Tasche, einen zusätzlichen Schatten über den Kongreß geworfen, der einmal geplant war, um „Power zu organisieren“ und „Utopien zu entwerfen“. Daß die Grünen ausgerechnet in Bad Godesberg auf die Suche nach ihrer Zukunft gehen, jenem Ort, der Symbol ist für den angepaßten Weg einer Partei an die Macht, spiegelt die widersprüchliche Geschichte dieses Kongresses wieder.

Zuerst beantragten ihn einige Linke, um dort die Bündnisfrage zu klären; später wollten ihn die Realos, um Beschlüsse über Änderungen des Parteiprogramms zu fassen. „Eigentlich“, sagt Regina Michalik, „hat kaum jemanden dieser Kongreß jemals wirklich interessiert. Das Ergebnis ist eine Versammlung ohne Delegiertenprinzip und ohne Beschlußfassung, offen für alle Interessierten, aber doch mehr an die Partei als an die außergrüne Öffentlichkeit gewandt. Auf neun Foren wird über Basisdemokratie, Gewaltfrage, Frauenpolitik, NATO und anderes gestritten, vorzugsweise also über jene Themen, an denen die Grünen immer wieder ihre innere Zerrissenheit dokumentiert haben.

Nicht-grüne Referenten sitzen meist am Gästetisch und nicht auf dem Podium, zwar mit bevorzugtem Rederecht, doch markiert die Sitzordnung auch die Distanz von beiden Seiten. So beteiligten sich Feministinnen nur zögerlich, wohlwissend, daß sie nicht die Vorzeige-Frauen für eine Partei abgeben wollen, die ihre Hoffnungen in den vergangenen Jahren weitgehend enttäuscht hat. Die zum Gewalt -Forum geladenen Vertreter der Hamburger Hafenstraße winkten gleich ab.

Trotzdem soll es kein Kongreß der Funktionäre werden; das Interesse der Basis sei „vehement“, so wird berichtet, auch wenn die Versammlung mit rund 600 grünen Teilnehmern vermutlich nicht die Größe eines normalen Parteitags überschreiten wird. Zwecks Dampf-ablassen wird sich das Forum über „Basisdemokratie, politische Kultur und Parteistruktur“ regen Zuspruchs erfreuen; ebenso die „Perspektive der Industriegesellschaft“, wo Hubert Kleinert und Uli Briefs in den Ring steigen. Die Hoffnung der flügelunabhängigen Vorstandsfrau Ursula Schwarzenberger, daß die Basis dem Strömungsstreit in Bad Godesberg ein „Begräbnis erster Klasse“ bereiten wird, dürfte allerdings vergeblich sein. Zwar werden die Manifeste der Strömungen nur eine untergeordnete Rolle spielen, weil sie noch unausgereift und wenigen bekannt sind, doch drängen die Realos und auch die Linken auf Zuspitzung des inhaltlichen Streits. Wenn die grüne Basis die Dimension dieses Streits um die grüne Zukunft erkennt und nicht, wie bei anderen Gelegenheiten, in unpolitischen Befriedungsappellen verharrt, könnte dies ein fruchtbares Ergebnis dieses Kongresses sein.

Wie sich gesellschaftliche Veränderungen unter heutigen Bedingungen erreichen lassen, dieses Leitthema des Kongresses soll nach dem dreitägigen Marathon auf Hearings und Streitgesprächen weiterdebattiert werden. Frieder Wolf (Berlin) fordert dazu die Entwicklung einer eigenen „reflexiven Schiene“ der Partei mit grünen „Think Tanks“, Bildungswerken und einem neuen Wochenblatt. Ob „die Grünen noch zu retten sind“, wie sich einige Protagonisten kürzlich in einem Buchtitel fragten, könnte mit den Worten Frieder Wolfs für Bad Godesberg so präzisiert werden: „Gibt es zwischen denjenigen, die in der anstehenden Auseinandersetzung ihre politischen Gesamtprojekte als miteinander unvereinbar erkennen müssen, noch die Möglichkeit einer punktuellen Zusammenarbeit?“ Zum Tanz in die grüne Zukunft spielt in Bad Godesberg allerdings das „Trio Bagatelli“ auf... Charlotte Wiedemann