AUS DEM BUNKER

■ Gesprächs- und Erinnerungsfetzen zum "Brigade Zeitgewinn"-Film "Heartbreak Hotel" / Premiere heute im Frontkino

AUS DEM BUNKER

Gesprächs- und Erinnerungsfetzen zum „Brigade Zeitgewinn„ -Film „Heartbreak Hotel“ / Premiere heute im Frontkino

Eine Reise zu verlorenen Sehnsüchten, dunklen Träumen und versteckten Wünschen. Der Ort: ein unterirdischer Bunker. Die Zeit: irgendwann, nach langer Abwesenheit. Das Drama: nicht dazuzugehören. Die Musik: „One Night“ (with you, that's what I'm hungry for, Elvis). Draußen scheint die Sonne himmelblau, aber wir gehören nach unten. Draußen, das ist die Oberfläche, wo Verletzungen (oder Ruinen) nicht gern gesehen sind. Das Dunkle und das Geheimnisvolle, es stößt uns ab, erfüllt unsere Seelen mit Angst - aber öffnet die Herzen. Nur dort kann man sein, wie man sein möchte. Dort, wo ein kleiner Tod lauert, dort, wo wir alle hinmüssen früher oder später.

Carsten Zielske: „Die Leute in diesem Film sind wirklich so, dieser 'Elvis‘ lebt auch sonst seinen Elvis. Wir haben Freunden angeboten, in jeweils einem Raum in diesem Bunker etwas darzustellen, und über 50 Leute wollten dann mitmachen. 'Kamera‘ ist immer noch ein magisches Wort für viele, dann kommen auch die letzten Heuler hinter'm Ofen hervorgekrochen. Damit das keine langweilige Selbstdarstellung wird, haben wir dazu eine Geschichte gebastelt: Was die da machen in den Zimmern, das kommt nicht von ungefähr. Ursel ist schon mehrfach in der Psyche gelandet. Im Film liegt sie in einer Zimmerecke, springt plötzlich auf und sinkt dann wieder in der Ecke zusammen.„

Wolfgang Böhrer: „Ihre Kurzbiografie könnte man sagen. Ebi ist auch so einer: diese Kälteszene in dem Polarzimmer, der Wind pfeift, und einer friert furchtbar. Ebi ist jemand, der Deutschland nur halbjahresweise besucht, im Sommer, weil er es hier im Winter einfach nicht aushält. Der braucht die Sonne.„

Die Sehnsucht, die Begierde, der Mord. Ein Nazi-Verhör und alte Schlager. Eine Frau kommt von weit her, um im „Heartbreak Hotel“ auf jemanden zu warten. Das Hotel beginnt auch sie zu beeinflussen. Das Glück, das Leid, der Müll, die Verrücktheit und die Ausgelassenheit.

Carsten: „Dieser alte Bunker, du kommst da unten rein, und gleich das erste ist ein Plakat, ultravergilbt und angeknabbert: 'Aufruf zum Volkssturm‘. Gleich am zweiten Drehtag ging eine Kamera zu Bruch, Geld ist da unten auf unerklärliche Weise weggekommen, die Atmosphäre hat uns paranoid gemacht. Es gab eine Serie von Ereignissen, die das ganze aufgehalten hat, so daß es drei Jahre gedauert hat, bis der Film fertig war. Der 'Höhepunkt‘ war, daß dem Ebi das Original in der Rohschnittfassung geklaut wurde - heute kann man drüber lachen, aber damals waren wir echt fertig aus einer Plastiktüte heraus. Die leeren Filmdosen waren noch da, aber das gesamte Material war weg, ein halbes Jahr lang - und lagen dann irgendwann in Zeitungspapier eingewickelt beim Ebi wieder vor der Haustür. Den Film muß sich jemand zigmal angeguckt haben, etliche Kratzer waren drauf und Klebestellen defekt.„

Die ganze Zeit versucht ein Hausmeister die technischen Pannen irgendwie zu beheben, die kleinen Katastrophen zumindest zu verzögern, austretenden Dampf mit Elastomeren zurückzuhalten oder offene Kabelenden notdürftig zu umwickeln. Eine unsichtbare Barriere zwingt die Bewohner, in ihren Zimmern zu bleiben, ohne Kontakt zum Nebenraum oder zur Außenwelt.

Carsten: „Diese Bunker sind in den Planspielen drin, aber wie man das da unten aushalten soll, ganz unabhängig davon, wie es draußen aussieht - das ist ein schlechter Witz: Es gibt zwei Wendeltreppen, beide voneinander getrennt, ohne Verbindung, eine ist für Frauen, die andere für Männer.„

Wolfgang: „Im nachhinein find ich's schon eigenartig, daß die Kinder der Kriegsgeneration sich im Bunker ihre Kultur zusammenschustern. Das Verrückteste war noch, daß die Zimmer, die wir bemalt hatten, von einem Stadtinspektor begangen wurden, der darauf bestanden hat, daß wir das wieder überstreichen - was vollkommen grotesk ist in Anbetracht des sonstigen Zustands des Bunkers. Was mich absolut fertiggemacht hat, war, daß du von allen 'natürlichen‘ Dingen wie Tag, Nacht, Geruch, Temperatur, Lautstärke überhaupt nichts mehr mitkriegst. Wenn du da rauskommen würdest, und alles liegt in Trümmern, das muß wie aus der Zeitmaschine sein.„

Aber es gibt eine Erlösung aus dem Dunkeln. Der Frau gelingt es, dieser bizarren Welt zu entkommen. Die Geheimnisse liegen in den Bildern versteckt, im rätselhaft -unerklärlichen Geschehen, so weit unten. Nichts „passiert“ in dieser Nacht, nichts wirklich, aber wirklich nichts? „One Night“ (with you, that's what I'm hungry for).

Ich wollte noch wissen, was es mit dem Namen „Brigade Zeitgewinn“ auf sich hat.

Wolfgang: „Der Name hat auch was mit Freizeitgestaltung zu tun. Filme machen, wie andere Musik machen, wie Musik entsteht, aus einem Kollektiv heraus.„

Carsten: „Ursprünglich hatte das schon einen programmatischen Charakter, weniger vom 'Zeitgewinn‘ als von der 'Brigade‘ her. Bei unserem ersten Film waren es noch 20 Leute, aber letztlich waren es doch immer nur drei, die was gemacht haben. Dieser Anspruch 'Jeder macht irgendwas‘ war ein schönes Ideal, hat aber nie den Tatsachen entsprochen. Mittlerweile hat sich das alles verändert - man muß ja grinsen, wenn man so darüber redet. Auch dieser Film war wohl der letzte 'Brigade Zeitgewinn'-Film.„

Das klingt alles ein bißchen ... verrückt, aber wenn es einfacher wäre, könnte man es gleich lassen. Oder: „Wir sind ungesund ... zynisch ... schäbig ... hundsgemein ... verträumt ... tüchtig ... schifastisch ... neckisch ... stur ... und gut“ (aus: „Die Filme der Brigade Zeitgewinn“).Torsten Alisch

Premiere heute um 22 Uhr und am Sa und So um 21 und 23 Uhr im Frontkino.