: Der hat es mit den Flüssen
■ "Kulturwelt", Uwe Johnson
S T A N D B I L D
Der hat es mit den Flüssen
(„Kulturwelt“, Uwe Johnson, Di., 14.6., ARD, 23 Uhr) Man hätte die Sonnenuntergänge zählen sollen. Zehn, elf Stück waren es bestimmt, immer über'm Wasser: mal das Meer in Pommern, mal der Hudson River in New York, in feinsten Pastelltönen, rosig, bläulich, gelblich, mit schwarzen Baum und Landsilhouetten. In den Worten Uwe Johnsons eine „schwere Farblösung“.
Hilde Becherts und Klaus Drexels bildschwerer Kulturfilm handelte von Uwe Johnsons Leben und seinen Landschaften. Der Mann mit dem glattrasierten Kinn und der glatten Glatze kam nur in Schwarz-Weiß-Fotos vor. Das geht nicht anders. Dafür bunt und von Haaren umweht ein hübsch weibliches Frauenprofil, aufs Wasser blickend: Die sollte nun Gesine Cresspahl darstellen, die Hauptfigur aus Johnsons Hauptwerk Jahrestage. Dazu Operngesang in Altstimme. Und Texte aus den Jahrestagen, mal von einem Mann, mal von einer Frau gelesen, mal gar mit verteilten Rollen. Dazu immer die richtigen Bilder, wunderschön gefilmt, Sonnenuntergänge, wie schon gesagt, aber auch der Hudson-Park, menschenleer, Bahngleise im Nebel verschwindend, wenn das Wort November fiel, mecklenburgische Landschaft, wenn davon die Rede war. Das Haus mit den gelben Backsteinen und dem Stierfries, das Gesine Cresspahl sieht - wir sehen es nun auch: Der Backstein ist eher rot, der Stierfries irgendwie lächerlich. So wird Text entzaubert. Am Ende ist die Literatur gar nicht mehr so wichtig, Hauptsache, man hat die Häuser, weil es heute im Mecklenburgischen so aussieht. Und natürlich Sonnenuntergänge, menschenleer. Und wo die Landschaft im Text nicht aufzutreiben war, weil der Text nicht von Landschaften handelte, da wurden dann die Bücher gezeigt: rot, blau, beige, grün, das Cover der vier Bände Jahrestage. So also sehen sie aus.
Die andere Stütze des Kulturfilms ist das Uwe Johnson -Archiv in Frankfurt, seine Karteien, Karteireiter, Aktenordner und sein Computer, der auf Stichwort Textstellen liefert. Das Stichwort Fischland produziert dann Getragenes aus dem Off und Landschaft, Strand, Meer, Riedgras, Fischland eben.
Es ist schön, wenn Fernsehn über Schriftsteller informiert. Und es muß auch nicht sein, daß die Information über das hinausgeht, was in Nachrufen auf Johnsons Tod 1984 allenthalben zu lesen war. Hat man doch endlich leibhaftig vernommen in des Autors eigener, tiefer, trockener Stimme, woher all die schönen Geschichten kommen: Zum Beispiel die vom DDR-Bürger, der an dem Tag als Flüchtling die Berliner Grenze überfuhr, als sein erstes Buch Mutmaßungen über Jakob in den Buchhandlungen zu liegen kam. Johnson hat sie selbst erzählt, als er im Frankfurter Hörsaal 6 seine Poetik -Vorlesungen hielt. Er sei kein Dichter der deutschen Teilung, sagt er, denn ein Verfasser von Prosa sei kein Dichter, und seine Bücher könnten nur in einem Teil Deutschlands gekauft und gelesen werden. Ein andermal sagt er, jedes Kind wisse, daß es nicht Zusammenbruch nach dem Krieg heiße, sondern man habe den Krieg verloren. Zum Schluß der Vorlesung sagt er immer: „Ich danke Ihnen für das Zuhören.“ Sein Leben endete in England, auf der Insel Sheerness, in einem blendend weißen Haus mit Blick auf das Wasser. Da haben uns die glänzenden Bilder wieder eingeholt.
Hat Uwe Johnson, wenn er am Hudson River entlangging, wenn er auf die Themse blickte oder auf die Ostsee oder wenn er sich ans heimische Fischland erinnerte, wirklich ständig diese Sonnenuntergänge gesehen?Christine Lehmann
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