Die Würde von Eisprung und Samenzelle ...

■ In der Debatte um den Paragraphen 218 gerieten Geißler und die Parteiführung heftig unter Druck

Die Würde von Eisprung und Samenzelle ...

In der Debatte um den Paragraphen 218 gerieten Geißler und die Parteiführung heftig unter Druck

Zwei Jahre lang hatten die „Christdemokraten für das Leben“ auf die Debatte gewartet - jetzt wollten sie sich ihren großen Auftritt nicht entgehen lassen. Geißlers Formulierungskünsten zum Trotz der wesentliche Bestandteil des christlichen Menschenbildes der Union ist das ungeborene Leben.

Heiner Geißler, der Generalsekretär der CDU, wird langsam nervös. Jetzt ist es gleich 19 Uhr, und die Stimmung in der Rhein-Main-Halle droht zu kippen. Schon steht der nächste Delegierte am Mikrophon, der eine Vorgabe der Antragskommission partout nicht schlucken will: „Wir sind der Überzeugung, daß eine Verschärfung des Strafrechts nicht zu einem besseren Schutz des ungeborenen Kindes führt“ - so lautet der Satz in der Ziffer zehn des Leitantrages „Politik auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes“. Er hat einen Teil des Parteivolks richtiggehend provoziert. „Das ist der Versuch, die CDU darauf festzulegen, daß eine Strafrechtsänderung nicht mehr zur Debatte steht“, schimpft ein Delegierter aus Nordrhein-Westfalen, dem Landesverband, wo auch die Gallionsfigur der rechtsextremen Christdemokraten für das Leben, die Gräfin Johanna von Westfalen, tätig ist. Die engagierten Christen, die Lebensschützer wollen die Option für eine direkte Verschärfung des Strafrechts zumindest offenhalten.

Am Morgen war der außenpolitische Leitantrag „Unsere Verantwortung in der Welt“ routinemäßig abgehakt worden. Der Rest des Tages drehte sich dann ausschließlich um den „Schutz des ungeborenen Lebens“, obwohl Heiner Geißler mit seinem zweiten Leitantrag versucht hatte, das christliche Menschenbild in einem umfassenderen Sinne zu thematisieren und auf die Leitlinien auszudehnen, mit denen der konservative „Umbau des Sozialstaats“ begründet werden soll. Doch die Generalaussprache hat sich ausschließlich auf das „ungeborene Leben“ konzentriert. Die Parteitagsregie sah offensichtlich vor, die AbtreibungsgegnerInnen ausreden zu lassen, um formal keine Angriffsflächen zu bieten.

Die Taktik, mit der diese immer stärker werdende Minderheit in der Union erst einmal zufriedengestellt werden sollte, stand von Anfang an fest. Heiner Geißler setzte in seinem Einleitungsreferat die Akzente: Ja zu einer Verschärfung in der Praxis; aber ein Nein zur direkten Änderung des Paragraph 218. Die Parteitags-Redner nennen das „Hilfe statt Strafe“. Mit den Worten von Heiner Geißler: „Wir sind davon überzeugt, daß eine Verschärfung des Paragraph 218 das ungeborene Leben nicht schützt. Was wir mißbilligen, ist der Mißbrauch und die Umgehung des geltenden Rechts.“ Und weiter: „Streiten wir uns auf diesem Parteitag nicht um positive rechtliche Regelungen, deren Wirkung ungewiß ist, sondern sorgen wir gemeinsam dafür, daß von diesem Parteitag ein Signal ausgeht, damit sich das Bewußtsein aller Menschen zugunsten des ungeborenen Lebens entscheidend verändert.“

Als es an die konkrete Abstimmung des Leitantrages ging, spitzte sich der Konflikt zu: „Wenn man sagt, daß der Paragraphen 218 mißbraucht wird, ist es zumindest denkbar, daß das Gesetz so klar und eindeutig nicht ist, und zumindest überprüft werden muß“, sagte zu Recht ein Mitglied der Jungen Union. „Daß eine Verschärfung des Strafrechts das ungeborene Leben nicht schützen kann, ist eine Behauptung, die durch nichts belegt ist“, wetterte eine Delegierte vom Kreisverband Emmendingen, einem der vielen Kreisverbände, die den Paragraphen 218 „klarer und verständlicher formulieren“ wollen, sich von der Antragskommission überfahren fühlten und nun alles daran setzten, zumindest diesem Satz mit der „Überzeugung“ aus dem Leitantrag zu entfernen.

Schließlich griff der Generalsekretär ein und trieb den Konflikt sogar noch voran: „Wir würden, wenn wir so verfahren, den Mißverständnissen Tür und Tor öffnen.“ Darum präsentierte er einen neuen Vorschlag: „Wir wollen keine Verschärfung des Strafrechts, sondern wir wollen, daß im öffentlichen Bewußtsein wieder fest verankert wird, daß... ein Schwangerschaftsabbruch... Tötung menschlichen Lebens ist“. Nach diesem Vorschlag ging es zu wie bei den Grünen: „Herr Generalsekretär, über ihren Vorschlag bin ich mehr als betroffen“, sagte ein Delegierter, Krauter, erbost. Das sei ja noch eine „Verschlimmbesserung“ des ursprünglichen Vorschlags. Als die nächsten Delegierten sich noch immer nicht beruhigen wollten, griff der Bundeskanzler ein („Ich will keine Verschärfung des Strafrechts“) und Geißler marschierte zu Rita Süssmuth und Lothar Späth auf die andere Seite des Podiums, um die beiden ans Mikrophon zu scheuchen. Der baden-württembergische Ministerpräsident Lothar Späth schaffte es denn auch, die aufgeregten Delegierten etwas zu beruhigen: „Ich will, daß wir jetzt am Gesetz nichts machen, auch nicht in zwei Jahren“, sagte Lothar Späth. Und dann kam sein Zugeständnis: „Ich kann dem Vorschlag von Geißler zustimmen, aber ich nehme mir für Baden-Württemberg das Recht, und gebe das hiermit zu Protokoll, neu laut nachzudenken, wenn sich bei einer Erfolgskontrolle in fünf Jahren zeigt: diese Gesellschaft lernt nichts dazu.“

Nach dieser Interpretation fürs Protokoll setzte sich die Linie der Parteiführung dann doch durch: Das Bekenntnis, am Strafrecht nicht direkt zu rütteln, aber gleichzeitig die Anwendung der sozialen Indikation mit allen Mitteln zu bekämpfen. „Unerträglich“ sei es, daß die überwiegende Zahl der Abbrüche „mit dem Vorliegen einer schwerwiegenden Notlage begründet wird“, heißt es nun im Leitantrag. „Es gibt die begründete Annahme, daß diese hohe Zahl auf Verstößen gegen das Gesetz beruht. An mehreren Stellen ist im Leitantrag davon die Rede, daß eine „tiefgreifende Bewußtseinsänderung in der Bevölkerung“ das Allerwichtigste sei. „Daß das ungeborene Kind Mensch von Beginn an ist“ müsse systematisch Müttern und Vätern, Ärzten und Beratern sowie allen Bürgern „nahegebracht“ werden. Die Partei fordert deshalb „eine breit angelegte Öffentlichkeitsarbeit zum Schutz des ungeborenen Lebens“: Geißler und Späth hatten von einer Kampagne gesprochen, die den Ausgaben für die Aids -Aufklärung entspechen müsse.

In mehreren Passagen unterstützt der Leitantrag das von Rita Süssmuth verfaßte Beratungsgesetz: Ziel der Beratung müsse sein, „das Leben des ungeborenen Kindes zu erhalten„; in die Beratungstätigkeit sollte der Vater des Kindes, die Eltern oder der Arbeitgeber einbezogen werden, „sofern die Schwangere dies wünscht“. In einem Punkt geht der Leitantrag allerdings über das Beratungsgesetz hinaus und übernimmt die Position der CSU: „Die Feststellung einer schwerwiegenden Notlage muß eingehend schriftlich begründet werden.“ Gefordert wird dann, daß „Beratung, Indikationsstellung und Abbruch räumlich und personell getrennt“ erfolgen müßten. Diese Vorschrift gilt in Bayern; das Beratungsgesetz sah „nur“ die personelle Trennung vor. Einige Kreisverbände wollten freilich noch draufsatteln: Der Kreisverband Esslingen etwa hätte der Schwangeren noch gerne einen „Lebenspfleger“ zur Seite gestellt, „dem weitgehende Kompetenzen gegenüber den Beteiligten eingeräumt werden“.Ursel Sieber