Auf dem Arbeitsamt

■ Kleine Lebenshilfe für Arbeitslose

Seit einem halben Jahr war Herr W. jetzt arbeitslos; gleich nach der Ausbildung.

Letztens mußte er zu seiner Sachbearbeiterin, ein Erörterungsgespräch führen. Verbissen kämpfte er sich den langen Gang entlang, vorbei an den wartenden Menschen durch eine Wand aus Schweiß und Qualm, bis er endlich seiner Sachbearbeiterin, Frau Glück (Name geändert), gegenübersaß.

So wie zumeist mußte Frau Glück auch heute feststellen, daß sie ihm in seinem Beruf keine Arbeit vermitteln konnte, aber da sie sowieso der Überzeugung war, daß 97 Prozent aller Arbeitslosen keine Lust zum Arbeiten haben, hatte sie sich heute etwas ganz Besonderes für Herrn W. überlegt.

Aus ihrem Computer holte sie einen Zettel hervor, schob ihn Herrn W. rüber und entließ ihn mit den Worten: „Stellen Sie sich bitte sofort bei dieser Firma vor!“ Auf dem Weg nach Hause studierte Herr W. aufmerksam den Arbeitsvorschlag. Da hatte er nun eine dreieinhalbjährige Ausbildung als Chemielaborant abgeschlossen und mußte folgendes Angebot über sich ergehen lassen:

Tätigkeit: Lager- und Transportarbeit,

Anforderung: deutsch schreiben und lesen können; belastbar sein

Lohn: 12,61 DM brutto

Und auf der Rückseite las er die Androhung einer achtwöchigen Sperre bei der Verhinderung des Zustandekommens des Arbeitsverhältnisses.

Herr W. schrieb deshalb einen Brief:

„Sehr geehrte Frau Glück,

Tiefbeeindruckt von Ihrem unersättlichen Vermittlungswillen und in Anbetracht dessen, daß ich mich stets korrekt um Arbeit bemüht habe und alle Ihre Vermittlungsversuche gewissenhaft befolgt habe, hinterläßt Ihr neustes Arbeitsangebot bei mir einen bitteren Nachgeschmack. (...)

Wenn nun in diesem Arbeitsbereich z.Z. beschränkte Arbeitsmöglichkeiten existieren, empfinde ich es als verwerflich, jemanden unter dem Druck der Existenznot (mögliche Sperre) eine dermaßen unterqualifizierte Arbeit anzubieten. (...) Ganz zu schweigen davon, daß dadurch einem weniger qualifizierten Menschen eine Arbeitsmöglichkeit genommen wird. Somit habe ich einen Eindruck gewonnen, auf welche Weise hier versucht wird, Arbeitslose um ihre Rechte zu bringen und die Arbeitslosenstatistik aufzubessern.

Es ist daher nicht nur mein Recht, sondern meine soziale und politische Pflicht, Ihnen dieses Arbeitsangebot zurückzuschicken.“

taz