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Das Ende der Gleichgültigkeit

■ Über die französische SchülerInnen- und StudentInnen-Bewegung 1986 / Kritik am „Objektivismus“ der westdeutschen Linken

Die Freiburger Initiative Sozialistisches Forum (ISF) untersucht die französische StudentInnen- und SchülerInnen -Bewegung vom November/Dezember 1986 und will nicht „in diese auch bei professionellen Aufstandstechnikern beliebte Falle des Objektivismus“ hineintappen. Denn „nicht Interpretation, sondern praktische Krise, die zur Krise provoziert, ist unser Geschäft“: Die Einleitung zu einer Chronologie der Ereignisse vom Herbst/Winter '86 wimmelt von markanten, flotten und verbissenen Sprüchen. Mit knappen Bemerkungen kanzeln die Autoren des ISF die „professionellen Sozialtechnologen“ ab, die die gesellschaftlichen Akteure als Bausteine eines objektiven Zusammenhangs begreifen und verwirrt sind, wenn die Menschen sich eben gegen ihr Objektdasein zur Wehr setzen, gegen die Psychokraten und die Suche nach „Identität“: „Identisch ist, wer nur sich selbst kennen mag.“

Polemisch nehmen sie sich die Autonomen vor: „Als gäbe es keine Gefängnisse mehr, sobald ausnahmslos jeder drinsitzt, versprechen sich die Autonomen die Aufhebung ihrer Ghettosituation durch die Propagierung ihrer Ghettomentalität.“ Und die „Gauchistes“: „der noch in sich verpuppte Erziehungsdiktator“. Und es geht auch gegen Oskar Negt, taz, 'Links‘, 'Aktion‘ oder 'Arbeiterkampf‘. Denn „überall dieselbe Leier: Vermittlung, anknüpfen, Vermittlung, anknüpfen, und so fort bis ins Unendliche“. Keiner hat nämlich verstanden, daß, formal logisch genommen, „für die Freiheit zu werben ein Widerspruch in sich (ist). (...) Wer nicht genug Leidenschaft in sich hat, für die Befreiung zu kämpfen, den kann man auch nicht davon überzeugen.“ Aber: „Ganz anders in Frankreich.“ (uff!)

Dort gibt's weder Innerlichkeitswahn noch Bhagwan, und Gauchiste ist „bei Revolutionären“ ein Schimpfwort. Diese ominösen französischen „Revolutionäre“ sind für die ISF die Gruppe um „Les mauvais jours finiront“ („die schlechten Tage werden enden“, woraus die Chronologie entnommen ist). Sie haben beispielsweise jene glänzende Analyse in Worte gefaßt, der es in der Tat an jedem dummen Objektivismus fehlt: „Die lächerlichen 'Aktionen‘ eines Grüppchens wie der Action directe stehen in keinem Verhältnis zu dem Druck, den Gruppen wie ... die RAF in der BRD ... ausüben.“

„Was heißt Situationist zu sein? Das bedeutet ein Handeln, das Situationen schaffen will, und nicht nur, diese zu erkennen. (...) Da der Mensch sich durch seine Situation definiert, will er die Fähigkeit haben, Situationen zu schaffen, die seiner Bedürfnisse würdig sind. (...) - Sind die Positionen der Situationistischen Internationale utopisch? - Die Realität geht über die Utopie hinaus...“ Die Schwärmerei für die vor über 30 Jahren an der Straßburger Universität gegründete Situationistische Internationale wird wiederholt dokumentiert und inspiriert den Stil, wobei doch an Mustapha Khayaiti etwa und andere nicht herangereicht wird. Der spezifische Charme fehlt. Die 86er Lese made in Frankreich ist selbstironischer: „Lehrer, Ihr raubt uns unsere Jugend. Wir werden nichts sagen. Unsere Blicke werden für uns sprechen. Sie sind unerbittlich! Das wissen sie! Sie werden sich selbst urteilen und sich nicht mehr davon erholen“ (aus einem Flugblatt). Oder auch: „Vielleicht habt Ihr keine konkreten Forderungen? He? Ist es das? Wir werden euch ein Geheimnis verraten: wir auch nicht! Und genau das ist die beste Forderung! Die geht (ihnen) nämlich am meisten auf die Nerven. Weil sie uns da nicht reinlegen können. Was uns nervt, ist ein ganzer Block. Da könne wir nicht ins Detail gehen!“

Eva Groepler

Das Ende der Gleichgültigkeit. Die französische Schüler und Studentenbewegung des Dezember 1986. Herausgeber: Initiative Sozialistisches Forum, Freiburg, Camira Verlag, Freiburg 1987, 100 Seiten.

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