Apartheid abschaffen ohne Waffen?

■ „Endspiel Südafrika“ und „Südafrika ohne Apartheid“ setzen nicht auf Revolution / Traditionell orientierte Analysen

Es geht um Südafrikas Zukunft: Bietet die anhaltende Revolte im Innern eine realistische Perspektive für die Überwindung des Apartheid-Systems? Welche Veränderungen werden aus der derzeitigen sozio-ökonomischen Situation in Südafrika in den nächsten Jahren erwachsen?

Mit diesem Thema setzen sich zwei neuere Schriften auseinander, die beide den Anspruch haben, wissenschaftlich fundierte Antworten zur weiteren gesellschaftlichen Entwicklung Südafrikas zu liefern: Heribert Adam/Kogila Moodley, „Südafrika ohne Apartheid?„; und Robin Cohen, „Endspiel Südafrika - Eine Anatomie der Apartheid“. Die AutorInnen arbeiten als WissenschaftlerInnen an Universitäten in Kanada und Großbritannien. In der Südafrika -Szene bekannt ist vor allem Heribert Adam, der aus der Bundesrepublik - und hier aus der „Frankfurter Schule“ der Soziologie - stammt und schon vor knapp 20 Jahren ein damals vielbeachtetes Buch mit dem Titel „Südafrika - Soziologie einer Rassengesellschaft“ veröffentlichte, das das Entstehen der bundesdeutschen Solidaritätsbewegung zum südlichen Afrika beeinflußte.

Heribert Adam orientiert seine jetzige Analyse weniger an der Frage grundlegender Veränderungen als an der Hoffnung auf Konzessionen des Regimes. Als ob ihn die Erinnerung an seine früheren Aktivitäten plagt, singt er Oden an die wissenschaftliche Wertfreiheit und politische Distanz. Allen denjenigen, die ihr Interesse im Sinne der schwarzen Opposition offenlegen, unterstellen Adam und Moodley „Wunschdenken“ und mangelndes Analysevermögen. Fast zynisch mutet es an, wenn sie WissenschaftlerInnen, die auf der Seite der Opfer der Apartheid stehen, vorwerfen: „Das System nur anzuklagen, indem man auf seine Greueltaten in geschwollenen und sich wiederholenden Litaneien hinweist, bleibt eine apolitische Übung.“ Sich selbst hingegen bescheinigen sie, eine nüchterne Bestandsaufnahme der südafrikanischen Wirklichkeit vorzulegen, die zu „angemessenen politischen Strategien und Taktiken“ führt.

Das Gegenteil ist der Fall. Beide Schriften enttäuschen sowohl, was die Analyse angeht, als auch vor allem hinsichtlich der daraus abgeleiteten Perspektiven, die sie für das „Endspiel Südafrika“, für ein „Südafrika ohne Apartheid“ sehen.

Den gegenwärtigen Aufständen messen die AutorInnen zwar einen wichtigen Stellenwert als Auslöser und Beschleuniger der politischen Veränderungsprozesse zu, geben ihnen aber letztlich keine Chance. Statt dessen setzen sie auf genau diejenigen Kräfte, die die Apartheid mühsam geschaffen und durchgesetzt haben: auf das Apartheid-Regime selbst. Als gestaltender Faktor für den künftigen Wandel wird der afrikanische Widerstand völlig vernachlässigt. Vielmehr hängen die AutorInnen allein der Vorstellung an, der Wandel werde „friedlich“ statt gewaltsam, „allmählich“ statt abrupt, „evolutionär“ statt per Revolution über das Land kommen - offenbar wie die Morgenröte nach durchregneter Nacht.

„Die Regierung könnte den Weg für eine legitime gemeinsame Machtausübung ebnen, indem sie per Gesetz eine verfassungsgebende Versammlung ermöglicht, ... auf der Basis von einer Stimme pro Person auch einem freien Wahlkampf“, schreiben Adam/Moodley. Aber warum sollte sie denn? Wie kann man nur so naiv sein, von einer Regierung freiwillige Schritte, „good will“, zu erwarten, die sich seit Jahrzehnten gegen alle inneren und äußeren Angriffe mit äußerster Brutalität behauptet und es nicht einmal ertragen kann, wenn liberale weiße Unternehmer mit dem ANC auch nur unverbindliche Gespräche führen?

Diesem Zerrbild entspricht auf der anderen Seite die Einschätzung der schwarzen Opposition, Der ANC repräsentiert nach Ansicht von Adam/Moodley lediglich „eine aufstrebende, bislang ausgeschlossene Mittelschicht“. Die Inkatha -Organisation des despotischen „Homeland„-Führers Gatsha Buthelezi - Aushängeschild des Apartheid-Regimes und stets gern eingeladener Gast von CDU/CSU und Konrad-Adenauer -Stifung - wird auf die gleiche Stufe wie der ANC gestellt; ihr wird eine „demokratische Legitimation“ zugesprochen, die sie faktisch nicht hat.

Während Adam/Moodley eine „technokratische Befreiung“ durch Reformen erwarten, deren Vorreiter das südafrikanische Regime ist, ist Cohens Vorhersage, im Kern ähnlich, origineller formuliert: Die weiße Minderheitsregierung habe keine Überlebenschance mehr; eine schwarze Mehrheitsregierung werde auf legalem Weg ins Amt gelangen. Entweder „ein kleiner, opportunistischer Teil des ANC läßt sich auf der Grundlage begrenzter Regierungsbeteiligung in den städtischen Regionen mit der weißen Minderheitsregierung ein“ oder eine „Vereinte schwarze und braune Bewegung“ übernimmt die Regierung. Um das Ganze plastischer zu machen, gründet Cohen auch gleich die Partei, die die Lösung des Problems bringen wird: die „United National African Party“ (UNAP).

Ihr Gründer hat allerdings einen Wermutstropfen einzugießen, nämlich die Interessenskonflikte unter den Schwarzen (und „Braunen“, wie Cohen immer sagt); auch der ANC sei gar nicht so geschlossen, wie immer behauptet werde. Aus dem Umstand, daß die ANC-Freiheitscharta einerseits die Übernahme der Bodenschätze, der Banken und des Monopolkapitals „in den Besitz des gesamten Volkes“ propagiert, andererseits aber allen BürgerInnen das Recht zubilligt, privat zu wirtschaften, konstruiert Cohen einen „ungelösten Widerspruch“ zwischen verschiedenen ANC -Fraktionen.

Im Analyseteil beider Schriften sind die Ausführungen über die innere Dynamik der Herrschafts- und Interessensstrukturen im Lager der Weißen das einzig interessante. Ansonsten fallen bei der Analyse der südafrikanischen Gesellschaft und Ökonomie Ignoranz und teils gravierende Fehleinschätzungen ins Auge. Als ob es die kritische Debatte über die abwegige Modernisierungstheorie, mit der eine „nachholende Entwicklung“ nach dem Maßstab der westlichen Industrieländer propagiert wird, nie gegeben hätte, zieht sich dieser Ansatz unausgesprochen durch beide Bände. Mit unverhohlener Bewunderung beziehen sich die AutorInnen allein auf industrielle Standards, wenn sie Gegenwart und Zukunft Südafrikas bewerten.

Die ProduzentInnen in den „Homelands“, ihre für das System unentbehrliche Überlebensarbeit, die gesamte „informelle Ökonomie“ werden in beiden Analysen vernachlässigt. Arbeit ist gleich Lohnarbeit. Daher wird die Subsistenzproduktion die für einen Großteil der Schwarzen ihre Reproduktion sichert und auf deren Ausbeutung faktisch die Apartheid ruht - als nebensächlich abgetan. Die Subsistenzwirtschaft sei zusammengebrochen, heißt es bei Adam/Moodley an einer Stelle lapidar. Sie ist es nicht, sonst könnte das System nicht funktionieren.

Michael Vesper

Robin Cohen, „Endspiel Südafrika“ Berlin 1987 (Rotbuch Verlag 326), 140 Seiten, 16 Mark

Heribert Adam/Kogila Moodley, „Südafrika ohne Apartheit?“, Frankfurt/Main 1987 (es 1369), 340 Seiten, 18 Mark