Die Grünen in ihrer ganzen Breite

Der Godesberger Perspektivenkongreß der Grünen sucht nach einem Licht am Ende des Tunnels Vorerst zeigt sich Einigkeit nur in der Ablehnung realpolitischer Durchmarschierer um Joschka Fischer  ■  Aus Bonn Charlotte Wiedemann

In überraschend aufgeräumter Stimmung präsentierten sich die Grünen gestern zu Beginn ihres dreitägigen Perspektivkongresses in Bad Godesberg. Unter den über 1.000 TeilnehmerInnen haben die giftigen Debatten der vergangenen Wochen und die öffentlichen Beschuldigungen gegen das Finanzgebaren der Parteispitze offenbar nicht Verzweiflung ausgelöst: Spürbar ist das Bemühen, in diesen Tagen wieder ein Licht am Ende des grünen Krisentunnels sehen zu wollen.

Doch wie der Weg zu diesem Licht aussehen kann, ist nach der Eröffnungs-Podiumsdiskussion nicht klarer als zuvor: Die Leitfrage „Wo stehen die Grünen?“ wurde eher negativ beantwortet: „Sie stehen nicht zu sich selbst und ihrer Aufgabe“ (Antje Vollmer), sie stehen zu wenig in den „laufenden Auseinandersetzungen“ (Jutta Ditfurth). Herausstechend wirkten die Beiträge nicht-grüner Gäste: Als „eine Stimme von außen“ riet der 'Zeit'-Journalist Matthias Greffrath zur Bescheidenheit: „Ob es die Grünen weiter geben wird, ist auf lange Sicht nicht so entscheidend.“ Ihr Problem sei, daß ihre Aufgabe der ökologischen und demokratischen Umgestaltung so groß sei: „Was die Grünen heute durchmachen, ist das Zurückschrecken vor der Länge, der Größe und der Gewalt dieses Prozesses.“ Dazu brauche man „viele unappetitliche Bündnisse“ und „die Lust an der Lösung fast unlösbarer Probleme“. Greffrath: „Die Grünen gehören nicht nur den Grünen.“

Der Liedermacher und Anti-AKW-Kämpfer Walter Moßmann erinnerte daran, daß die „angeblich grünen Themen“ zuerst von den verschiedenen Bewegungen in den 70er Jahren verbreitet worden wären; nur seien die Grünen heute „auf sich selbst angewiesen“. Moßmann wandte sich vehement gegen das Bestreben einiger Realpolitiker, nun zur politischen Mitte zu drängen: „Wenn das grüne Politik wird, bin ich nicht mehr interessiert.“

Auch Jutta Ditfurth erntete mit scharfen Angriffen auf die Realos große Zustimmung: „Ökologischer Kapitalismus ist wie feministisches Patriarchat.“ Statt sich an „saturierten Mittelständlern“ zu orientieren, müßten die Grünen „soziale Allianzen von unten aufbauen, Erfahrungen und Kämpfe zusammenführen“. Die Stimmung im Auditorium dokumentierte der rauschende Beifall für Ditfurths Appell: „Wir brauchen die Grünen in ihrer ganzen Breite - für eine Spaltung stehen wir nicht zur Verfügung.“

Otto Schily warnte davor, nun einen „Tag der Einheit der Grünen zu feiern“. „Offenes Denken“ statt eines „geschlossenen Ideologiegebäudes“ müßte bestimmend für grüne Politik sein, die nicht mehr an den traditionellen sozialen Klassen haften dürfe. Die Grünen würden daran gemessen, ob sie in Gesellschaft und Politik einen „neuen Konsens“ herbeiführen könnten.

Daß mit den Flügeln und Mittelgruppe die Strömungen nicht mehr ausreichend repräsentiert sind, beweist die Fülle der Papiere: Verschiedene Gruppen der „Linken“ melden sich mit eigenen Positionen zu Wort; der Gärungsprozeß im realpolitischen Lager schlägt sich in zahlreichen Debatten am Rande nieder.

Die Mehrheit der TeilnehmerInnen scheint vorerst durch die emotionale Abwehr gegen den Vormarsch einiger Realpolitiker um Joschka Fischer geeint: Fast befreiend wirkte der Jubel, als zu Beginn einige Kabarettisten aus dem Bonner Kreisverband mit Sektgläsern und „Yuppie, Yeah„-Rufen das Podium stürmten. „Die Grünen - ökokapitalistisch und staatstragend“ stand auf ihrem Transparent.