Belcanto vampirabile

WOMEN IN MUSIC am Sonntag: Das zwei Jahre alte Belcanto-Ensemble, ist sehr weit entfernt vom namensgebenden Ziergesang des italienischen Barocks  ■  Von Axel Weidenfeld

Ein neues Ensemble als Anlaß zur Entstehung neuer Kompositionen: Die fünf Sängerinnen des Belcanto-Ensembles (siehe taz vom 20.6.) führten in der Sparkasse am Brill am Sonntag mittag bis auf eine Ausnahme nur Werke auf, die für sie entstanden. Vom namesgebenden Ziergesang des italienischen Barock sind sie dabei oft recht weit entfernt.

Am weitesten in diesem Programm in Adriana Hölszkys nagelneuem „Vampirabile“. Die Sängerinnen bedienen eine Unzahl von Percussionsinstrumenten, die zugrundeliegenden Texte von Ingeborg Bachmann und Gottfried Benn sind bis zur Unkenntlichkeit in einzelne Momente aufgelöst. Selten, daß einmal ein vollständiges Wort identifiziert werden kann, meist bleibt es bei isolierten Konsonanten, zischenden und schnalzenden Lauten.

Am anderen Pol standen Eiluned Davies‘ „glimpses“, eine Uraufführung. Die „flüchtigen Eindrücke“ stellen deutliche Rückbezüge zu Madrigalen des 17. Jahrhunderts her. Die dichte Führung der fünf Stimmen bildet sangliche Imitationen, tonale

Verhältnisse ergeben sich ohne Zwang. Das könnte leicht in gediegene Handwerkelei und frisch-musikantische Gesinnung abgleiten. Spannung und Plausibilität der Kompositionen von Eiluned Davies zeigten, daß offen traditionsbezogene Werke nicht in Langweiligkeit verfallen müssen.

Einen großen Anteil daran hatten Dietburg Spohr, Cornelia Döhnhofer, Birgit Kindler, Bettina Buschmann und Andrea Bader. Das Belcanto-Ensemble besteht erst seit zwei jahren, in denen die fünf zu großer Genauigkeit und Lebendigkeit der Kommunikation gefunden haben. Welch exorbitante Anforderungen an die Stimme in neuer Vokalmusik gestellt werden, zeigte Dietburg Spohr solistisch in Susanne Erdings „Spuren im Spiegellicht“. Den zerrissenen Elementen der Gedichte von Hans Krömer entspricht eine Spaltung der Linie des Gesangs in immer kleinere Bruchstücke, die in der Tonhöhe weit auseinanderklaffen. Dietburg Spohr traf die heiklen Sprünge mit unglaublicher Sicherheit, ihr Monolog stellte einen Dialog abbrechender Melodiefragmente her.

Das Lieblingsstück des Publikums war Nancy Van de Vates

„Cocaine Lil“ - ich sage das so distanziert, weil mich diese Art von humoriger Musik eher nervt. Der Text ist ein anonymes Gedicht aus der Zeit, als Kokain in den USA noch eine legale Droge war. Lil läuft ständig stoned durch die Gegend, was Anlaß für einige verkorkste Melodiebildungen ist. Am Ende stirbt sie an einer Überdosis, und natürlich welch lustiger Einfall! - erklingt dazu Chopins Trauermarsch.

Am faszinierendsten war für mich das Anfangsstück des Programms. „Djong Op sha“ von der Koreanerin Sue Youn Hong. Der 500 Jahre alte Text beschreibt die Angst einer Kaufmannsfrau, ihrem Geliebten könne auf dem Weg zum Markt „etwas Schreckliches zugestoßen“ sein. So vage diese Bedrohung im Text bleibt, so beklemmend wird sie musikalisch gestaltet. Die Klänge bleiben leise, vorsichtig. Sie sind von langen, ängstigenden Pausen durchsetzt.

Die ZuhörerInnen sahen sich einer schwierigen Aufgabe gegenüber: während des gesamten Konzerts brummte die Klimaanlage in unerträglicher Lautstärke. Und gerade die Momente spannungsvollen Wartens in diesem Werk wurden davon zerstört.