Vorsorglich behindert

■ Fürsorgliche Behörde zerbricht sich Pflege-Elternköpfe: Geld gibt's nicht, dafür Platz in Schule für Geistigbehinderte

Völlig offen ist nach Ansicht des Bremer Jugendamts noch, ob die sechsjährige Sandra B. in eine Schule für Geistigbehinderte oder in eine Integrationsgruppe eingeschult wird. (vgl. taz. vom 16.6.)„Völlig überbewertet“ sei die Interpretation eines Schreibens des Bremer Jugendamtes an die Pflegeeltern der sechsjährigen Sandra B., in dem die Behörde Sandras Einschulung in einer Schule für geistigbehinderte Kinder als „angezeigt“ erachtete und die Eltern aufforderte, sie möchten sich gefälligst um einen Schulplatz in einer Sonderschule bemühen. Die Pflegeeltern ihrerseits hatten sich rechtzeitig und mit entsprechenden Gutachten um einen Platz in einer Integrationsgruppe bemüht, in der „gesunde“ und „lernbehinderte“ Kinder gemeinsam lernen.

Jugendamtsleiter Hans Leppin hängte das Schreiben seiner Behörde inzwischen möglichst tief: Seine Mitarbeiter hätten sich bloß vorsorglich und im Rahmen ihrer Amtspflichten gegenüber Pflegekindern um Sandras Einschulung Sorgen gemacht. Sogar einen Platz in der Bremer Kindertagesstätte Leipziger Straße werde seit Monaten für Sandra freigehalten, versucht der Amtsleiter seinen guten Willen zu Sandras Bestem

unter Beweis zu stellen. Daß Sandras Pflegeeltern auf diesen Platz dankend verzichten, hätte sich Leppin allerdings denken können: Kurz vor Weihnachten war Sandra ausgerechnet aus der Kita Leipziger Straße in einer Nacht- und Nebelaktion von Behördenmitarbeitern abgeholt und ohne Wissen der Eltern in ein niedersächsisches Heim verbracht worden.

Weniger Sorgen als um Sandras Schulausbildung machen sich Leppins Mitarbeiter offenkundig, wie für Sandra Miete, Kleidung und Lebensmittel bezahlt werden können. Seit Monaten erhalten die Pflegeeltern keinen Pfennig „Erziehungsgeld“ mehr, aber dafür hält sich das Bremer Jugendamt für „nicht zuständig“. Sandra sei Berlinerin, zuständig für die Bezahlung das Jugendamt Neukölln. Wenn das die Zahlungen einstelle, müßten die Eltern halt klagen.

Recht hat er. Auf einen Behörden-Rechtsstreit mehr oder weniger braucht es den Eltern wirklich nicht mehr anzukommen. Ein Verfahren, ob Sandra überhaupt bei ihnen bleiben darf oder in ein Heim muß, ein Widerspruchsverfahren gegen den Entzug ihrer Pflegeerlaubnis haben sie so oder so schon.

taz