Kanada: Das „Saudi-Arabien“ des Uranbergbaus

Der Rohstofflieferant für das „Manhattan Projekt“ ist heute Weltmarktproduzent Nummer 1 / Indianer wehren sich gegen Kontaminierung und soziale Verelendung  ■  Von Thomas Siepelmeyer

Längst hat Kanada die USA vom Platz eins der Uranförderländer verdrängt und konkurriert um diese Position mit Südafrika/Namibia, deren Produktion wegen südafrikanischer Geheimhaltungsvorschriften nicht genau bekannt ist. Von den 12.600 Tonnen Uranoxid oder 'Yellowcake‘, die Kanada 1987 produzierte, wurden ca. 90 Prozent exportiert, so daß das Land auch als einer der größten Anbieter auf dem Weltmarkt auftritt. Die Uranproduktion konzentriert sich hauptsächlich auf zwei Gebiete: Elliot Lake in der Provinz Ontario und Nordsaskatchewan.

Die Uranproduktion in Kanada hat eine lange Geschichte: Von hier kam ein Teil des Bombenrohstoffs, der für die Entwicklung der ersten amerikanischen A-Bomben im Zweiten Weltkrieg benötigt wurde, und auch für die Bomben, die über Hiroshima und Nagasaki explodierten. Während die Minen am Elliot Lake der Firma Rio Algom, einer Tochter des englischen Bergbaumultis Rio Tinto Zinc, gehören, ist der Abbau in Nordsaskatchewan hauptsächlich unter Kontrolle von staatlichen kanadischen Firmen und regionalen Entwicklungsgesellschaften. In diesem Gebiet liegen die Minen mit den weltweit höchsten Urankonzentrationen. Während in der Regel Urankonzentrationen von einigen Zehnteln Prozent ausgebeutet werden (und in der Rössing-Mine in Namibia sogar nur einige Hunderdstel Prozent), sind in kanadischen Minen ein bis zwei Prozent normal, einige Minen weisen 15 Prozent, an einigen Stellen bis zu 60 Prozent Uran auf. Diese Vorkommen, beispielsweise das von Cigar Lake, können wegen der hohen Strahlung, die dort beim Untertageabbau herrschen würde, nur mit Robotern erschlossen werden. Die Techniken für diesen Abbau werden im Augenblick entwickelt. Anfang der neunziger Jahre soll damit begonnen werden.

Bundesdeutsche Uranfirmen sind in Kanada stark engagiert. Die BRD bezog 1986 fast 15 Prozent ihres Natururanbedarfs aus Kanada. Eine der größten Minen der Welt, Key Lake, ist von der Bonner Uranerzbergbau GmbH und Co KG (UEB) exploriert worden; heute gehört ihr ein Drittel des Projekts. Bis 1982 hatte sie auch einen Anteil von 49 Prozent an der jetzt aufgelassenen Mine Rabbit Lake. Die UEB gehört den beiden Elektrizitätsriesen RWE und Preussag AG. Die Frankfurter Urangesellschaft (UG), eine gemeinsame Tochter von Metallgesellschaft, STEAG und VEBA AG, ist seit über 20 Jahren in den kanadischen Nordpolargebieten tätig. Die aussichtsreichsten Explorationen finden ausgerechnet in der Nähe der einzigen Inuit-Siedlung in diesem riesigen, über acht Monate im Jahr verschneiten und vereisten Gebiet statt. Durch die Schürftätigkeiten sind die Karibu- und Rentierherden, die einzige Lebensgrundlage der Inuit in dieser menschenfeindlichen Region, um die Hälfte zurückgegangen. Die Ursache dafür sind die vielen Erkundungscamps, die Bohrungen, Explosionen, tieffliegenden Flugzeuge und die vielen Fahrzeuge. Ein Gericht, das die Inuit gegen die Aktivitäten der bundesdeutschen Firma 1979 angerufen hatten, bestätigte zwar die Rechte der Ureinwohner, gab aber gleichzeitig der UG die Erlaubnis, mit den Explorationen fortzufahren.

Dritter im Bunde der bundesdeutschen Explorations- und Förderfirmen ist die Saarberg-Interplan Uran GmbH (Interuran) im Besitz der Saarbergwerke, einer Gesellschaft, die zu 74 Prozent dem Bund und zu 26 Prozent dem sozialdemokratisch regierten Saarland gehört. Die Interuran führt in den verschiedensten Provinzen Kanadas Explorationsprojekte durch.

Der Uranabbau im Norden Saskatchewans birgt besonders große Gefahren für die Umwelt und die dort lebenden Menschen, zum größten Teil Indianer und Inuit. Kanada ist überzogen von kleineren und größeren Seen, Flußläufen und anderen Wasserflächen. Viele Lagerstätten liegen unter dem Boden der Seen, die das Trinkwasserreservoir für die Anwohner bilden. Durch Grubeneinbrüche in Untertageminen oder durch direkten Kontakt mit dem Grundwasser in den Tagebauminen werden die Gewässer kontaminiert, die Trinkwasserversorgung gefährdet und eine der Existenzgrundlagen der einheimischen indianischen Bevölkerung, der Fischfang, in Mitleidenschaft gezogen.

Von dieser Verseuchung ist vor allem das Gebiet um den Wollaston Lake betroffen. Hier arbeiten an der westlichen Seite des Sees schon drei Uranminen, zwei weitere sind in der Planung der staatlichen Eldorado Nuclear Ltd. (der Name ist Programm). Tausende Tonnen festen und flüssigen Abfalls werden täglich produziert. Durch den Abbau werden die Radon und Thorongase im Gestein freigesetzt, die wegen ihrer Flüchtigkeit die radioaktive Hauptgefahr für Mensch und Tier in dieser Region bilden. Aber auch die chemische Verseuchung ist beachtlich: Schwefelsäure und Schwermetalle aus dem Aufarbeitungsprozeß des Erzes geraten ebenfalls in die Umwelt und in das Grundwasser. Von den Bergbaufirmen werden ganze Seen entwässert, um genügend Wasser für die Produktion des 'Yellowcake‘ zu bekommen.

Kein Wunder, daß der Widerstand der hier lebenden indianischen Bevölkerung sehr groß ist: Am Anfang versuchte man durch Demonstrationen, die Anrufung der Gerichte, durch Petitionen in den Regionalparlamenten und auch bei den Firmen etwas zu erreichen. Die Tätigkeit der Bergbaufirmen hatte sich in ihrem Gebiet nicht nur ökologisch fatal ausgewirkt, sondern auch sozial. Die ganze Infrastruktur ist auf die Minen ausgerichtet, Straßen führen nicht in die Siedlungen, sondern in die Camps der Uranfirmen und in die Gruben. Die Lebenserwartung der Indianer liegt zehn Prozent unter dem nationalen Durchschnitt; die Säuglingssterblichkeit ist 50 Prozent höher; nur zehn Prozent der Menschen sind in regelmäßig fester Beschäftigung. Alkoholismus, Selbstmordversuche und überfüllte Gefängnisse sind weitere Punkte, die das soziale Gefüge der Dörfer langsam zerstören. Alle sogenannten friedlichen und parlamentarischen Mittel halfen nichts. Deshalb entschlossen sich die Anwohner, im Juni 1985 für vier Tage den Betrieb der Minen zu behindern. Diese Aktion des zivilen Ungehorsams machte das Problem des Uranabbaus in Kanadas nördlichen Gebieten zum ersten Mal einem größeren Bevölkerungskreis bekannt. Rundfunk, Fernsehen und Zeitungen berichteten ausführlich über die Blockade. Eines der Ergebnisse war eine engere Kooperation der Widerstandsgruppen im Land. In den größeren Städten der Provinz, wie Saskatoon und Regina, in denen die Uranfirmen ihre Sitze haben und ein großer Teil des Uranoxids für den Export umgeschlagen wird, bildeten sich Gruppen gegen diesen Aspekt des „Brennstoffkreislaufs“ und Unterstützungskomitees für die Indianerdörfer im Norden. Die große Menge an Brennstoff, die bundesdeutsche Energiekonzerne aus Kanada beziehen, macht deutlich, daß der Widerstand gegen Uranabbau dort kein exotisches Ereignis ist, sondern direkt auch die Anti-AKW-Bewegung in „diesem unserem Lande“ betrifft.

Literatur-Hinweise:

Neue Ausgabe der Zeitschrift 'pogrom‘, Nr. 140, Gesellschaft für bedrohte Völker, Postfach 2024, 3400 Göttingen (5.- DM)

„Strahlende Geschäfte - Der Tanz auf dem Welturanmarkt“. Hrsg. Arbeitskreis Afrika, AKAFRIK, Lingener Straße 9, 4400 Münster (9,50 DM)