Prager Friedensseminar gesprengt

Entspannungsinitiative überfordert Machthaber: Freunde der Charta 77 verhaftet  ■  Aus Prag Christian Semler

Der tschechoslowakische KP-Parteichef M.Jakes hatte zu vertrauensbildenden Maßnahmen in (Zentral)Europa aufgerufen, die Freunde der Charta '77 nahmen ihn prompt beim Wort. Für das letzte Wochenende beriefen sie ein internationales Friedensseminar ein, das in drei Arbeitsgruppen über das Konzept eines „demokratischen Friedens“ und die künftige Rolle von Basisinitiativen in Ost und West innerhalb des Entspannungsprozesses beraten sollte.

Die Chartisten unterbreiteten das Projekt einer Versammlung europäischer unabhängiger Gruppen, eine Art „Helsinki -Parlament“ mit Prag als Versammlungsort - ein Beitrag „von unten“ zum europäischen Häuserbau. Das war den Prager Machthabern entschieden zu viel Entspannungsinitiative. Sie arretierten eine Reihe von Organisatoren und Referenten, blockierten den Versammlungsort, konnten aber nicht verhindern, daß das Seminar in einer zweiten Wohnung eröffnet wurde.

An die vierzig VertreterInnen von Friedens- und Menschenrechtsgruppen aus dreizehn europäischen Ländern und den USA hörten das Einleitungsreferat J.Hajeks, des Außenministers zur Zeit des Prager Frühlings. Pünktlich zu Beginn der Diskussion erschien die Polizei, filmte, nahm Personalien auf und erklärte die Versammlung für illegal und geschlossen. Während die Chartisten mit stoischer Ruhe ihrer x-ten Festnahme entgegensahen, beschlossen die hinausgeworfenen Friedensfreunde, das Seminar am nächsten Morgen in einer anderen Wohnung fortzusetzen. Wider Erwarten wurden die meisten der Chartisten im Lauf der Nacht freigelassen, so daß Jo-Anne Landy aus den USA vor der fast vollständigen Versammlung mit einer feurigen Protesterklärung beginnen konnte - dann war es wieder soweit. Diesmal wurden die Ausländer aus Ost und West festgenommen und gruppenweise ins Hauptquartier der Polizei verfrachtet. Der Warteraum der Visaabteilung wurde jetzt zum dritten Versammlungsort des Seminars, leider ohne Beteiligung der tschechoslowakischen Freunde.

Schließlich, nach fünf Stunden, kam das Ergebnis der behördlichen Beratung: Rausschmiß. Die Ausländer hätten gegen das Gesetz verstoßen, und das noch hartnäckig, freundlichen Ermahnungen zum Trotz. Gegen welches Gesetz, war nicht in Erfahrung zu bringen (offenbar gibt es keins). Die Verhandlungsgruppe der arretierten Friedensfreunde hatte es durchgesetzt, daß die Ausländer nicht einzeln abgeschoben wurden - so blieb bis Samstag abend noch Zeit für kurze Gespräche mit tschechischen Chartisten, die nicht ein zweites Mal inhaftiert worden waren. Kein trauriger Abschied, eher die Grundstimmung, hartnäckiger, geduldiger Hoffnung. Grund für solche Hoffnungen gibt es.

Die neueste Instruktion für die Parteikader fordert die Mitglieder zum verschärften Kampf gegen diejenigen auf, die die Ideen der Perestroika für die Ziele des politischen Pluralismus mißbrauchen wollen. Unterdessen bilden sich neue parteiunabhängige Gruppen - jetzt auch im studentischen Milieu - und werden widerwillig toleriert. Die politische Initiative wechselt sichtbar auf die Seite der demokratischen Opposition. Mit der „Langeweile in Böhmen“ ist jetzt Schluß.