Die Stadt, der Müll und die Quotierung

■ Kleine Utopie: Die SPD geht 2006 ein rot-grünes Bündnis ein und erläßt grünes Quotierungsgesetz / Rat der Frauenbeauftragten kann den Mangel an qualifizierten Bewerberinnen bei der Müllabfuhr nicht lösen

Bremen im Jahr 2008. Die SPD, endgültig diskreditiert durch eine dichte Folge von Korruptionsskandalen, hat vor zwei Jahren ihre absolute Mehrheit verloren. Eine rot-grüne Koalition regiert, der Entwurf eines Quotierungsgesetzes für Frauen im öffentlichen Dienst, wie ihn die grüne Fraktion 1988 ausarbeiten ließ, ist seither Gesetz.

Am 20. August, einem glühend-heißen Gewittertag, findet sich auf der ersten Lokalseite des „Weser-Kurier“ die Schlagzeile: „Es stinkt zum Himmel“. Berichtet wird von den Schwierigkeiten, die sich durch die Umsetzung der Frauenquotierung bei der städtischen Müllabfuhr ergeben haben, von Müllbergen an den Straßenrändern und Einwohnerprotesten. Freiwerdende Stellen für Müllwerkerinnen werden nicht besetzt, weil sich keine qualifi

zierten Frauen finden. Da die Stellen dem Gesetz zufolge dann unbesetzt blieben, kann durch den Quotierungsbeschluß die ordnungsgemäße Müllentsorgung nicht länger gewährleistet werden. „Wenn wir einmal eine Frau finden, dann wird sie gleich wegqualifiziert“, dieses Statement der frischgebackenen Leiterin der Abwasserbehörde führt zu ihrer disziplinarischen Abmahnung durch den Gesamtrat der Frauenbeauftragten Bremens.

Über eine nicht vorhergesehene Folge des Quotierungsgesetzes berichtet Radio Bremen in einem Feature im September. Die Verfasserinnen des Gesetzes seien etwas blauäugig davon ausgegangen, daß, wenn Frauen auf allen Berufsfeldern vorgezogen würden, die Männer „ihr Bewußtsein erweitern und sich nicht länger der Kinderbetreuung und

Hausarbeit verschließen“, wie es im Gesetz heißt. Dieser fromme Wunsch sei nicht in Erfüllung gegangen. Aufgetreten sei vielmehr eine ungeheure Abwanderung männlicher Arbeitskräfte und ein Zustrom gebildeter Mittelstandsfrauen nach Bremen, dem Eldorado feministischer Selbstverwirklichung. Die „Verfrauung der Stadt“ ist seither Thema parlamentarischer Debatten.

Die Klage von Frauen, insbesondere aus dem Kleinbürger-und Arbeitermilieu des Bremer Westens, greift wiederum die „taz“ am Ende des gleichen Monats auf. Der Rat der Frauenbeauftragten, der faktisch an die Stelle der ehemaligen Senatskommission für das Personalwesen getreten ist, hat eine Qualifizierungsoffensive gestartet, um die aufgetretenen Engpässe in der Versorgung der Bevölkerung zu

beheben. Durch Hausbesuche oder, um den Terminus des Frauenrates zu benutzen, durch eine „nachgehende Entpatriarchalisierungs-Strategie“ soll das Potential der Frauen, das sich bisher noch seiner Selbstverwirklichung verweigert, für die Verwaltung erschlossen werden insbesondere für die Müllabfuhr, da inzwischen manche Straßenzüge der Blocklanddeponie gleichen. Unverhohlener Bürgerinnenzorn schlägt der feministischen Bewußtseinspolizei in diesen Stadtvierteln entgegen. „Ich laß‘ mir von denen doch nicht meine Ehe kaputtmachen“, giftet es den Verwaltungsfrauen entgegen, und: „Selbstverwirklichung findet bei uns am Wochenende auf dem Campingplatz statt“.

Einen Skandal deckt der CDU-nahe „Weser-Report“ am Ende des Jahres auf. Er berichtet von

einem Bürger, der als arbeitsloser Sozialhilfeempfänger seine zuständige Sachbearbeiterin beim Sozialamt über Wochen nicht antraf. Bei ihrer Chefin habe er sich nicht beschweren können, weil deren Stelle einer Ressortleiterin durch den Mangel an qualifizierten Frauen offen und unbesetzt geblieben sei. Recherchen der Zeitung fördern zu Tage, daß die Sachbearbeiterin von ihren 35 Stunden in der Woche durchschnittlich nur sechs Stunden anwesend war. Während der übrigen Zeit befand sie sich auf weiterqualifizirenden Maßnahmen, die u.a. das Thema hatten: Wie leite ich einen Aufsichtsrat? Eine Reihe weiterer Klagen ist die Folge dieses Artikels, in deren

Verlauf sich herausstellt, daß Frauen in der Verwaltung etwa die Hälfte der Arbeitszeit an Fortbildungsmaßnahmen teilnehmen, um geschlechtsspezifische Defizite aufzuarbeiten.

Im März des nächsten Jahres kommt es zu vorgezogenen Neuwahlen, weil die SPD die Koalition aufkündigt. Sie hätte sonst fürchten müssen, ihre Wählerbastionen in den Bremer Arbeiterbezirken zu verlieren. Diese Wahlen gehen als „Bremer Müllwahlen“ in die Geschichte ein. Die neue Koalition aus CDU und FDP stockt als erstes die Müllabfuhr mit einer gewaltigen Zahl männlicher Arbeitskräfte auf und setzt das Quotierungsgesetz außer Kraft.

Klaus Jarchow