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■ Manfred Breuersbrocks „Die Aufklärungsrolle: Als die Liebe laufen lernte“ wurde aus „Aufklärungsfilmen“ der 60er und 70er Jahre kunterbunt montiert

„Na, was ist, hast du heute Lust?“ „Nein, ich bin heute wirklich müde“. „Aber das geht schon seit einem halben Jahr so“, klagt die Frau, der Mann dreht sich um.„Merkst du denn nicht, daß ich überhaupt nichts fühle, wenn wir zusammen schlafen?“ „Warum hast du mich dann geheiratet?„

Dialoge dieser Art, einem „Aufklärungsfilm“ des Jahres 1968 entnommen, sind auf deutschen Leinwänden selten geworden, kommen höchstens noch in Verfilmungen von Martin Walsers „zeitkritischen“ Romanen vor. Dabei hatte die Zeitschrift „Wiener“ kürzlich wieder mal tief in die deutschen Schlafzimmer hineingeschaut und eine Zeitgeist-Erscheinung zur Titelstory gemacht, die unter dem pragmatischen Titel „Tote Hose“ für dankbares Kopfnicken in der Szene sorgte. „Die Lust ist raus“, hieß es da, und: „In den deutschen Betten passiert nichts mehr“.

Vergleicht man die Hilflosigkeit, mit der die Autoren dieses Artikels nach Erklärungen und Ursachen für diese Erscheinung suchen, mit den ähnlich hilflosen und verkrampften Versuchen der „Aufklärer“ der 60- und 70er Jahre, das, was sich bisher in den deutschen Schleiflackschlafzimmern ereignete, der Öffentlichkeit zu zeigen: Es bliebe einem das Lachen über den Film „Als die Liebe laufen lernte“ im Halse stecken.

Aber um einen Vergleich ging es Regisseur Manfred Breuersbrock und dem Filmjournalist Michael Strauven bei ihrer Arbeit nicht: Sie sichteten über hundert Filme aus der Hoch-Zeit von Pille und Oswalt Kolle, und montierten besondes „bizarre“ Fundsachen, wie sie sagen, zu einer „bunten Collage“ zusammen, die ein „erschreckendes Bild der damaligen Prüderie selbst in Aufklärungsfilmen“ zur Schau stellen soll.

Die Komik der aus Wochenschauen und alten Kinofilmen zusammengeschnitteten Bilder ergibt sich zwangsläufig aus der zeitlichen Distanz und vor allem dem Sendungsbewußtsein, das durch die bewegten Bilder mühevoll Koitierender frömmelt.

Denn so fortschrittlich die Filme auf die damaligen ZuschauerInnen gewirkt haben mögen: Hinter all der Freizügigkeit verbirgt sich für unsere „fortschrittlichen“ Augen nichts weiter als die Zementierung alter Werte: Vor der deutschen Schlafzimmerkulisse, die dem Bildband „Das deutsche Wohnzimmer“ entnommen zu sein scheint, wird auf Flokati- oder Veloursteppichen modellmäßig geliebt und verhütet. Wenn überhaupt. Oft mußte das Tierreich wieder herhalten, um auf optimale oder nicht empfehlenswerte Kopulationsstellungen hinweisen zu können. Öfters wurde der deutsche Herbstwald als stimmungsvolle

Kulisse für nackte Pärchen hinzugezogen, die unbeschwert Versteck spielen und noch nichts von Sünde und Moral wissen.

Die Aufklärungsstreifen vom Typus „Libido - Das große Lexikon der Lust“, „Dein Mann, das unbekannte Wesen“, „Helga“, oder „Vollendung der Liebestechnik“, - soweit man sie wegen der schnellen Bilderfolge überhaupt unterscheiden kann - bemühen sich „ernsthaft“ um eine „Natürlichkeit“, und verdienen vielleicht am ehesten den Namen „Aufklärungsfilm“. Was man von den vielen anderen nicht unbedingt behaupten kann.

In dichter Abfolge, ähnlich wie die Werbefilme der „Cannes -Rolle“, werden Ausschnitte der „Aufklärungsfilme“ unkommentiert hintereinander gezeigt. „Die Aufklärungsrolle“ heißt es auch sinnigerweise im Untertitel: Man kann sich als Zuschauer dieses Panoptikums an zur Schau gestellten Peinlichkeiten immer im sicheren Gefühl wiegen, daß die „sexuelle Befreiung“ doch ihre Früchte getragen hat; daß wir es doch besser haben als unsere „VorgängerInnen“, die sogar auf die Barrikaden gehen mußten, um den Mini-Rock durchzusetzen. Aus dem Abstand der Zeit, der bewirkt, daß die Menschen damals überhaupt komisch wirken, weil sie nicht mehr den Mode-Maßstäben der 80er Jahre entsprechen, kann man sich durch die oft willkürlich zusammengeschnittenen Auszüge die Bestätigung dafür holen, was man immer schon vermutete: Aufklärungsfilme im heutigen Sinne waren das nicht. Auch keine Porno-Filme, wie viele sagen. Immer dann, wenns so richtig zur Sache gehen und ein Tabu gebrochen werden soll, wurde der Rot- oder Blaudimmer eingeschaltet, und nur verwaschene Konturen der sich rhythmisch Koitierenden auf dem Flokati oder im Bett sind mühevoll auszumachen.

Um zu beweisen, daß auch die Aufklärungsfilme nie unter die Gürtellinie gingen, und ein Tabu nur scheinbar entschleierten, hätte es völlig ausgereicht, zwei

oder drei dieser Filme in ihrer vollen Länge zu zeigen. Mit diesem Konzept hätte man auch die Langeweile vermeiden können, die sich nach der Hälfte der bunt zusammengewürfelten Ausschnitte zwangsläuftig einstellt. Daß die Montage in dieser Länge nicht zu begeisterten Ausbrüchen des Publikums führen könnte, liegt nicht im Denken des Produktionsteams Breuersbrock/Strauven: Im Pressetext verraten sie ihr eigentliches Anliegen: Das Lachen über Die „Aufklärungsrolle“ kann nur „befreiend“ sein: Der Film stellt Fragen zur Sexualität nicht in die ironische Abnormitäten-Ecke, sondern geht mit den verklemmten Bildern so sinnlich um, daß diese „Aufklärung über die Aufklärer“ wiederum lustvoll aufklärt.Diese Intention ging voll in die Hose.

Regina Keichel

BRD 1988, Schauburg, 21 Uhr