„Ich muß erst mal ein bißchen passen“

■ Ehemaliger Gesundheitssenator sah keine Möglichkeiten, unfähigen Klinik-Chef der St. Jürgen-Straße loszuwerden / Von Straftaten nicht gewußt / Brückner: „Ich habe ein gutes Gewissen, das Richtige getan zu haben“

taz: Sind Sie inzwischen eigentlich doppelt froh, daß Sie nicht mehr Gesundheitssentor sind, oder würden Sie sich lieber selbst an den „Aufräumungsarbeiten“ in der St-Jürgen -Klinik beteiligen?

Herbert Brückner: Ich wäre im Augenblick lieber Gesundheitssenator, um das, was in meinem Amtsbereich zu meiner Amtszeit passiert ist, auch selbst zu lösen. Und ich bin sicher, zu diesem Zeitpunkt wäre das Problem längst kein Problem mehr, weil schon zu meiner Zeit intensiv versucht wurde, es zu lösen.

Was gab es denn zu ihrer Amtszeit schon zu lösen? Welche Konsequenzen wollten Sie ziehen ?

Im Augenblick entsteht durch Zeugenaussagen und Veröffentlichungen der Eindruck, der Senator hätte damals wissen müssen, daß Herr Galla Geld in die eigene Tasche gewirtschaftet hat. Es ist eindeutig so, daß ich von diesen Machenschaften zu keinem Zeitpunkt irgendetwas gewußt habe. Wenn ich davon gewußt hätte, hätten wir natürlich sofort gehandelt. Deshalb ist es für mich besonders bitter, daß ich das bislang

noch nicht vor dem Untersuchungsausschuß belegen konnte. Unter solchen Umständen ist es doch höchst ungewöhnlich, wenn ein einzelnes Auschußmitglied schon jetzt öffentlich erklärt, der Ausschuß sei sich sicher, ich hätte diese Machenschaften vertuscht.

Umgekehrt: Wenn man davon ausgeht, daß ich von Herrn Gallas finanziellen Machenschaften nichts gewußt habe, dann wirft man mir vor, ich hätte zumindest wissen müssen, daß der damalige Verwaltungsdirektor „unfähig“ war, wie Herr Scherf sagt, und ich hätte deshalb den Verwaltungsdirektor entlassen müssen. In Wirklichkeit war es so: Herr Galla ist zu Beginn meiner Amtszeit angestellt worden, ohne daß es je irgendwelche persönlichen Beziehungen zwischen mir und Herrn Galla gegeben hätten.

Die ersten beiden Legislaturperioden ging das einigermaßen. Dann kam die Zeit, wo wir dachten: „So geht es mit Herrn Galla nicht weiter“. Aber wir haben gesagt, wie warten die Wirtschaftsprüfung von Ernst & Whinney ab. Als die abgeschlossen war, hatten wir die Absicht, einen Kommis

sar im Krankenhaus einzusetzen. Das ist aus verschiedenen Gründen gescheitert. Dann haben wir gesagt, wir machen ein Gutachten speziell über die Management-Lücken in der St. -Jürgen-Straße, das Wibera-Gutachten. Zu diesem Zeitpunkt hat Herr Galla sich wegbeworben, und wir haben gehofft, wenn das klappt, ist das Thema durch. Herr Galla wurde aber nicht genommen. Das war 1986, als ich aus dem Senat ausschied.

Ihrem Nachfolger, Henning Scherf, haben drei Monate gelangt, um von Gallas Fähigkeiten ein Bild zu bekommen, das nichts dringlicher machte als seine sofortige Ablösung.

Erstens ist es so, daß die Erkenntnisse über Gallas Unvermögen in den letzten Jahren zunahmen. Zweitens: Auch Herr Scherf hat offensichtlich keine Erkenntnisse gehabt, die einen Rausschmiß Gallas gerechtfertigt hätten. Sonst hätte er das ja gemacht. Stattdessen hat er eine einvernehmliche Lösung mit Galla gesucht. Wenn ich von einer solchen Möglichkeit gehört hätte, wäre ich dem auch auf jeden Fall schon näher getreten. Aber in dieser Situation bin ich nie gewesen.

Immerhin haben leitende Mitarbeiter Ihrer Behörde Sie schon vor Gallas Berufung förmlich beschworen, diesen Mann nicht zu ernennen. Immerhin hat es schon in den ersten Jahren eine Vielzahl von Entscheidungsversäumnissen gegeben. Investitionspläne wurden mit einjähriger Verspätung eingereicht. Millionenwurden verausgabt, die nie bewilligt worden waren. Herr Galla hat eigenmächtig die Bettenzahlen des Krankenhauses reduziert und damit gegen einen gesetzlichen Auftrag des Krankenhauses verstoßen. Trotzdem hat es nie auch nur die simpelsten disziplinarischen Maßnahmen gegeben.

Drei Antworten: Erstens, über meine damaligen Mitarbeiter will ich nicht reden. Deswegen will ich zu dem Mann, der mir damals von Gallas Berufung abgeraten hat, nur sagen: Er und einige andere waren bei Besetzung der Stelle für Gallas Gegenkandidaten. Es ist ein Leichtes, sich später auf die Schulter zu klopfen und zu sagen: „Ich habe das schon immer gewußt“. Zweitens:

Es stimmt, daß durch die dauernde Reduzierung der Krankenhauszuschüsse sich die Fragen, was muß in den Krankenhäusern am dringendsten gemacht werden, häufiger überschlugen und schließlich etwas anderes gemacht wurde, als ursprünglich geplant war. Solche Sachen wurden meiner Behörde häufig erst nachträglich gemeldet, während andere Krankenhäuser das korrekt abgewickelt haben. Drittens: Niemand hat mir aber aufgrund irgendeines dieser Fälle gesagt: „Jetzt müssen wir aber endgültig etwas gegen den Verwaltungsdirektor unternehmen“.

Immerhin soll es in Ihrer Behörde für die St.Jürgen-Straße das Synonoym „Bermuda-Dreieck“ gegeben haben, ein geflügeltes Wort für verschwundene Papiere und Planungsunterlagen.

Jetzt hört man solche Sprüche. Das hätten die Mitarbeiter ja auch mal eher sagen können. Geflügeltes Wort war „Bermuda -Dreieck“ sicher nicht. Was da jetzt nachträglich alles zum „geflügelten Wort“ wird, ist wirklich ganz interessant. Die Kernfrage ist: Hätte man einen Beamten wegen der Punkte, die damals bekannt waren, gegen seinen Willen zwangsversetzen können? Das wäre kaum möglich gewesen, außerdem mit dem Problem verbunden, an seiner Stelle einen Kommissar haben zu müssen. Wir waren kurz davor, sind aber eben nicht so weit gekommen.

Von außen drängt sich ja wirklich der Eindruck auf, daß der ehemalige Gesundheitssenator Herbert Brückner vieles einfach nicht wissen wollte. 1983 hat ein Mitarbeiter der Klinik Sie schriftlich dreimal um ein persönliches Gesprach gebeten, um Sie über Unregelmäßigkeiten im Beschaffungswesen der Klinik zu informieren. Sie haben dem Mitarbeiter damals geantwortet: „Klären Sie das mit Herrn Galla selbst“ - also ausgerechnet mit dem Beschuldigten.

Ich kann mich an einen Briefwechsel dieser Art erinnern. Wenn ich mich recht erinnere, wurde davon geredet, daß in der Verwaltungsdirektion nicht nach kaufmännischen Gesichts

punkten gearbeitet würde. Damit war für mich ganz klar, der Verwaltungsdirektor ist zuständig,

denn der Senator ernennt keine Abteilungsleiter, sondern nur die drei Mitglieder der Direktion.

Die Vorwürfe bezogen sich aber gerade nicht auf irgendeinen Abteilungsleiter, sondern exakt auf eines dieser von Ihnen ernannten Direktionsmitglieder, Herrn Galla.

Ich muß mich mit dieser Sache wirklich noch einmal intensiv beschäftigen. Ich müßte die Briefe vielleicht noch einmal vor mir haben. Das übliche Verfahren ist ja, daß erst der zuständige Sachbearbeiter den Brief hat, dann der Abteilungsleiter, dann der Hauptabteilungsleiter, dann der Senatsdirektor und dann irgendwann kriege ich den und hake ihn ab. Aber wie das in diesem Fall genau war - da muß ich erst einmal ein bißchen passen.

Gut. Zumindest zum Zeitpunkt seiner Einstellung müssen Sie von Herrn Gallas fachlicher Qualifikation ein ausgesprochen positives Bild gehabt haben. Jedenfalls haben Sie sich ausgesprochen intensiv für seine Verbeamtung und seine Beförderung eingesetzt. Dreimal haben Sie beim damaligen Senatsdirektor und SKP-Chef, Kurt Niedergesäß, eine Besoldung für Herrn Galla nach A16 beantragt. Dreimal hat Herr Niedergesäß abgelehnt. Mit Henning Scherf und dem damaligen Finanzsenator, Karl-Heintz-Jantzen, haben Sie deshalb extra ein Gespräch am Rande der Bürgerschaft vereinbart.

Zunächst mal war ich grundsätzlich der Meinung, daß für die Stellen von Verwaltungsdirektoren in Bremer Krankenhäusern Angestelltenverträge auf fünf Jahre besser gewesen wären als Beamtenverträge auf Lebenszeit. Nur: Das ist mir damals abgelehnt worden. Wenn die SKP und andere Stellen uns zwingen, Verwaltungsdirektoren zu Beamten zu machen, dann auch mit entsprechender Besoldung.

Die weitere Beförderung Gallas war aus meiner Sicht völlig unproblematisch. Ich habe mich immer dafür eingesetzt, daß die Verwaltungsdirektoren besser besoldet werden. Wenn man sich vorstellt, daß jemand ein Krankenhaus mit 200 Millionen Mark Umsatz und 2.500 Mitarbeitern leitet und damals A 15 bekam

diese Leute sind auch heute noch nicht adäquat besoldet.

Herr Galla hat Sie ein Jahr nach seiner Ernennung schriftlich erinnert, Sie möchten doch endlich für die ihm versprochene Beförderung sorgen.

Die St.Jürgen-Straße mußte in diesen Sachen immer Vorreiter sein, man konnte an den Besoldungsstrukturen nur etwas ändern, wenn man im größten Krankenhaus anfing. Persönliche Abmachungen mit Herrn Galla habe ich darüber nie getroffen, kein Stück.

Bei diesem Skandal scheint es etwas nicht zu geben, was es sonst eigentlich immer gibt - einen politisch Verantwortlichen. Oder sind Sie das?

Zunächst gibt es aufgrund der staatsanwaltlichen Ermittlungen einen strafrechtlich Verantwortlichen, wenn es genügend Beweise gibt. Erst in zweiter Linie wäre dann zu fragen: Wer ist politisch dafür verantwortlich, daß jemand so etwas hat tun können? Ich sage ganz eindeutig: Das ist während meiner Amtszeit geschehen. Aber den Grad meiner Verantwortlichkeit möchte ich gerne im Untersuchungsausschuß klären. Mich ärgert natürlich, daß ich diese Probleme nicht selbst habe lösen können. Aber von Straftaten habe ich nichts gewußt. Und die dienstlichen Sachen habe ich so gesehen, daß die Möglichkeiten einer direkten Abberufung oder Zwangsversetzung nicht gegeben waren. Deshalb habe ich auch ein gutes Gewissen, daß das, was ich aus damaliger Sicht getan habe, richtig war. Aus heutiger Sicht weiß ich, ich hätte gern ein bißchen mehr getan. Und schließlich: Mit meiner jetzigen Arbeit als Landesvorsitzender der SPD hat das Ganze direkt nichts zu tun. Darüber entscheiden die Delegierten alle zwei Jahre. Ich bin schließlich nicht von einem Job in den anderen gezogen. Ich habe ein sicheres, gut dotiertes Regierungsamt aufgegeben und arbeite jetzt ohne Bezüge im Ehrenamt für die Partei.

Hätten Sie denn noch mal Lust, Senator zu werden.

Im Senat bin ich nun lange genug gewesen.

Gespräch: Klaus Schloesser