RENAISSANCE ODER RENAISSANCE?

■ Early Dance aus Rom und San Francisco

Die Fresken des Piero della Francesca in der Kirche von Arezzo habe ich nie im Original gesehen. Ich erinnere mich noch genau, wie wir nach einer strapaziösen Fahrt im glühendheißen „Locale“ das Gepäck am Bahnhof von Arezzo zur Aufbewahrung gegeben hatten und dann ungläubig auf das mit Stempeln übersäte und offizielle Mitteilungsblatt an dem schweren Kirchenportal starrten. Der kunstinteressierte Italienreisende wird schon ahnen, was uns da mitgeteilt wurde: Das gesamte Kircheninnere, also auch die Fresken, seien „in restauro“. So besitze ich also mehrere Postkarten der Fresken. Die berühmten Farb- und Lichtwirkungen werden nur mit Mühe wiedergegeben, dafür finden sich aber mehrere hübsche Übersetzungsfehler auf der Rückseite.

Als die „Gruppo di Danza Rinascimentale“ bei der Werkstatt E88 im Hebbeltheater Piero della Francescas Bilder als Vorlage ihrer Rekonstruktion der Renaissance-Tänze angab, war ich zur Stelle. Und richtig, jedes Detail scheint zu stimmen. Die liebevoll aufwendigen Samtgewänder der Damen und die kurzen Jacken der Herren sind in Form, Schnitt und Farbe den historischen Vorlagen entsprechend. Jede Borte und jede Falte ganz authentisch. Die Bewegungen sind anmutig dezent, und die Musik wird selbstverständlich auf originalgetreuen Instrumenten von der „Academia Viscontea i Musicanti“ gespielt. Alles soll ganz wie damals wirken. Als könne man die Jahrhunderte zurückdrehen und wie in der guten alten Zeit, als die Toskana noch nicht von Touristen überschwemmt und die Museen brechend voll oder „in restauro“ waren, noch einmal an einem „festino a ballo a palazzo“ teilnehmen. So tanzt Barbara Sparti, sich eine Koryphäe auf dem Gebiet der Rekonstruktion historischer Tänze, mit ihrem Gruppo die schönsten Menuette, Reigen, Hochzeitstänze und gewissermaßen als Krönung - sehr dekorativ mit bunten Bändern - auch noch um die italienische Variante eines Lebens- oder Maibaumes herum.

Wenn der ganze Tanzabend historisierend und akademisch ist, keinesfalls eine Renaissance der Renaissance darstellt, sondern eher museal wirkt, dann liegt das gerade an seiner bemühten Authentizität, die die Postkarten aus Arezzo, weil immer schon Reproduktion, gar nicht beanspruchen.

Die am vorhergehenden Abend dargebotene „The Mask of Juno“

-kaum getanzt und viel gestellt von den „Court Revels“ aus San Francisco - weiß von diesen Problemen nichts. Hier begnügte man sich mit einigen parodistischen Szeneeinfällen in Shakespearschen Kostümen. Der laienhafte Charme mag als Campus-Belustigung bei Jubiläen und zum Abschluß eines Kongresses über das Elisabethanische Zeitalter zur Entfaltung kommen, im Hebbeltheater ernteten unsere amerikanischen Gäste vom ohnehin nur spärlich erschienenen Tanzfachpublikum herbe Buh-Rufe.

Susanne Raubold