Spitzfindiges Vobo-Urteil

■ Mit einem Freispruch endete gestern ein Gerichtsverfahren gegen ein Mitglied des Volkszählungs-Informations-Büros / Zeitpunkt des Boykott-Aufrufs war entscheidend

Mit einem Freispruch statt mit einer Geldstrafe endete gestern das Amtsgerichtsverfahren gegen Peter Rassmann vom Volkszählungs-Informations-Büro. 1.500 Mark sollte ihn der „Aufruf zum Volkszählungsboykott“ kosten, den das Statistische Landesamt aus einem Flugblatt des V.I.B. herauslas. Die vierseitige Schrift, für die er presserechtlich verantwortlich zeichnet, war im vergangenen Mai in einer Auflage von 450.000 gedruckt und größtenteils verteilt worden. Gegen den Bußgeldbescheid hatte Rassmann Einspruch eingelegt. Nach zwei Verhandlungstagen hob das Amtsgericht den Bußgeldbescheid auf.

Peter Rassmann hatte seinen Einspruch gegen die Geldstrafe damit begründet, daß auf dem Flugblatt nur Leute angesprochen worden seien, die für sich den Boykott schon beschlossen hatten. Eine „Aufforderung“, so meinte Rassmann, sei im vergangenen Mai gar nicht nötig gewesen, damals wären laut verschiedenen Meinungsumfragen zwei Drittel der Landesbewohner zum Boykott bereit gewesen.

Wenn der Richter in dem Flugblatt trotzdem einen Boykottaufruf erkannte, mußte er doch Anwalt Frankes Hinweis auf die unklare Rechtslage im vergangenen Jahr folgen. Wie auf Seite drei des Flugblatts zu lesen, waren sich die Verfasser zumindest nicht im klaren darüber, daß sie zum Volkszählungsboykott aufriefen. Dort stand in einem „Rechts -Info“, der Heranziehungsbescheid sei die offizielle Verpflichtung, die Bögen auszufüllen.

Schon im letzten Mai, erinnerte der Anwalt, habe es durchaus einige Verwaltungsgerichtsurteile gegeben, in denen Teile des Volkszählungsgesetzes und -vollzuges angefochten worden waren. Noch vor kurzem war in der taz eine Entscheidung des Münchener Landgerichts nachzulesen, in der die „Verpflichtung“ zur Teilnahme an der Volkszählung erst mit dem Heranziehungsbescheid beginne.

Rechtliche Unklarheiten dieser Art konnten, wie auch der Richter meinte, die Verfasser des Flugblattes zu der Auffassung bringen, ihre Anleitung beziehe sich auf das „Vorstadium“ der Zählung. Der Aufruf sei also „noch keine Ordnungswidrigkeit“ gewesen.

WvB