Wir versuchen, auf der Mauer zu tanzen

■ Maria Knilli über „Follow Me“

taz: Die Hauptrolle in ihrem neuen Film spielt Pavel Landovsky, ein tschechischer Emigrant. Auch sonst spielen viele Emigranten mit. Wie kamen Sie dazu, einen Film über Emigration zu drehen?

Maria Knilli: Seitdem ich mit der Filmerei zu tun habe, werden meine Wege ständig von slawischen Emigranten gekreuzt, seien es meine Lehrer an der Filmhochschule oder Schauspieler - das verfolgt mich sozusagen. Ich habe viele von ihnen kennengelernt, viele Geschichten gehört, viele Stunden mit ihnen verbracht. Und dabei habe ich festgestellt, daß es eine ganz bestimmte Lebenskraft oder Widerstandskraft gibt, die aus diesem Schicksal wächst. Es gibt eine Vitalität und eine Art von Humor und Leichtigkeit, die aus der Tatsache wächst, daß sie einmal in ihrem Leben so eine Entscheidung getroffen haben oder einmal so eine Entscheidung über sie getroffen wurde.

Wie kam es zu dem Kontakt mit Pavel Landovsky?

Der ist ursprünglich schuld an allem, weil er geradezu ein Paradebeispiel ist für so ein unverwüstliches Wesen. Ich habe ihn '83 bei der Verfilmung eines russischen Theaterstücks kennengelernt; der Regisseur hatte lauter Emigranten-Schauspieler um sich versammelt: da ging es ähnlich babylonisch zu wie jetzt bei meinem Film. Damals habe ich auch Marina Vlady kennengelernt und noch ein paar andere; und damals fiel eigentlich die Entscheidung, diesen Film zu drehen.

Wo spielt die Geschichte? Sie beginnt doch in Prag.

Vorweg muß man sagen, daß der Film kein ganz normaler realistischer ordentlich erzählter ist, sondern eher eine Fabel, etwas Märchenhaftes. Teil dieser Fabel ist, daß die Heimat des Professor Navratil - den Landovsky spielt - Prag ist. Die Heimat sieht man, sie hat einen Namen.

Das, wo er dann hingeht, als er weggeht, ist ein europäisches Land, aber es hat keinen Namen. Er entschließt sich, auf den Flughafen zu emigrieren. Auf den Flughafen als eine Art Niemandsland, als internationalen Ort.

Warum diese Entscheidung gegen eine normale Filmerzählung? Es geht doch um die ganz konkrete Geschichte des Pavel Landovsky.

Das stimmt nicht ganz. Ich habe das Drehbuch für den Pavel geschrieben und es ist wesentlich von seinem Leben inspiriert, aber das ist nicht seine Geschichte. Die Fabel, die erzählt wird, ist erfunden, um von dieser Kraft und dieser Leichtigkeit zu erzählen; sie ist ein Gerüst für das Thema.

Ein wesentlicher Punkt war, daß ich keine Lust hatte, einen typischen Emigrantenfilm zu machen: der kleine tschechische Emigrant, der sich irgendwie durchwurschtelt und es schwer hat und zurechtkommt - wie in diesen putzigen Filmen. Ich wollte die Geschichte von einem kleinen Helden erzählen, und für diesen kleinen Helden mußte ich eine Welt aufbauen, damit er Held bleibt.

Bei der Entwicklung des Drehbuchs fing die Geschichte zunächst viel konventioneller und ordentlicher an. Da mir aber wichtig war, daß ich mich so rasch wie möglich von den politischen Lagern löse und auf was Menschliches oder Essentielles komme, auf das, was innen passiert und nicht außen, mußten wir die Geschichte überhöhen. Wir mussten das in eine andere Welt versetzen, sonst wären wir ganz schnell in dem einen oder anderen Lager gewesen. Wir wollten versuchen, auf der Mauer zu tanzen.

Gestern, bei den Dreharbeiten , gab es diese Szene mit dem Ei. Die Emigranten feiern Ostern, einer drückt mit seiner ganzen Kraft ein Ei in der Hand, es geht nicht kaputt, die anderen applaudieren, prosten sich zu, sagen „Ei“, in vielen Sprachen. Was soll diese Geschichte?

Was bedeutet das Ei? Das Problem ist, wenn man ein bißchen mit Symbolen spielt, brechen sie ganz schnell zusammen, sobald man anfängt, sie zu analysieren. Der Gedanke ist vereinfacht - der: auf dem Fest haben sich lauter Leute versammelt, die vom Leben gebeutelt sind. Emigranten. Ein Ei ist einerseits etwas sehr Zerbrechliches; wenn man es aber ganz fest und von allen Seiten gleichzeitg drückt, geht es trotzdem oder gerade deshalb nicht kaputt.

Man muß aufpassen. Der Film ist voll mit solchen Anspielungen und Symbolen; mir ist lieber, ich stell die einfach hin und stimuliere die Phantasie und die Erfahrungswelt des Zuschauers. Der Film soll die Deutung herausfordern und nicht einfach liefern.

Wo überall ist „Follow me“ gedreht worden?

In Prag, Wien, Budapest, Berlin, Paris.

Warum hier in Berlin?

Das hat praktische Gründe. Weil ich den Film unter anderem mit Berlinförderung finanziere, muß ich hier auch Geld ausgeben.

Die Tatsache, daß Berlin in besonderem Maß, eine Emigrantenstadt ist, die Stadt mit der Mauer, spielt also keine Rolle?

Für mich persönlich ist es schon etwas Besonderes. Ich bin in Berlin aufgewachsen, es hat etwas Sentimentales, daß ich nun mit meinem Film wieder hier bin. Die Idee zu diesem Film hat bestimmt etwas damit zu tun, daß ich 14 Jahre hier gelebt habe, mit der Mauer. Ich kann mich auch an '68 erinnern - ich war ein Kind - und an den Einmarsch in Prag. Es ist als Kindheitserlebnis in meinen Kopf eingebrannt.

Wie ist es mit den anderen Drehorten? Paris ist doch auch eine Emigrantenstadt.

Das ist entscheidend, ja sicher. Wir gehen deshalb nach Paris, weil wir auf dem Flughafen dort drehen, in Orly Sud. Der Flughafen, auf den der Professor emigriert, sollte kein moderner 80er Jahre Flughafen sein, sondern ein Flughafen, der mehr wie ein Bahnhof ist. Der soviel erzählt wie ein Bahnhof, so alt ist und so dreckig und mit soviel Menschen.

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