Kolle rückwärts

■ Hi-Hi-Hilfe: „Die Aufklärungsrolle“ kommt

Es rollt mal wieder - diesmal nicht unter den Nierentischen der 50er Jahre und auch nicht zu den Verlockungen des Kapitalismus von Cannes, sondern genau zwischen die Schenkel oder wo sich sonst noch erogene Zonen verstecken, die wir posthum entdecken könnten und sollen. Von Helga, dem deutschen Aufklärungsstreifen der sechziger Jahre schlechthin, der mit Mitteln des Bundesgesundheitsministeriums produziert wurde, und, man höre und staune, in drei Wochen mehr als 11 Millionen Zuschauer lockte, bis hin zu Oswald Kolles Dein Mann, das unbekannte Wesen lebt noch einmal die Zeit von damals auf: Sexuelle Revolution, die einzig erfolgreiche auf deutschem Boden, wie man so schön sagt.

Aber jede Zeit hat die Moral und die Filme, die sie verdient. Kein Wunder also, daß jetzt Helga recyclet wird. Denn Wichsen ist wieder modern, weil ungefährlich, und diese Filme waren für Wichser gemacht. Linke hatten es eh schon immer schwerer, nicht nur im Sexuellen, und war da nicht gerade was mit 68? Wer Dutschke sagt, muß auch Sex sagen, dachten sich ein paar ergraute 68er, man könnte sie auch Kriegsgewinnler nennen: die nämlich vor lauter Straßenkampf seinerzeit nicht ins Kino kamen. Aber heute, mit dem Ruch des Dokumentarischen, läßt sich alles revuepassieren.

Und es ist sogar lustig - nicht wegen der nackten Körper und der medizinisch einwandfreien revolutionären Stellungen. Nein, diese nackten Leiber sind eher furchteinflößend und viel interessanter, wenn sie noch angezogen sind: Noch schlimmer als die Sex-Gewohnheiten der damaligen Zeit war die Mode: Minirock und Schlaghosen, lange und noch breitere Kotelletten - und die Courrege-Frisuren der Damen. Dabei wollte man sich doch gar nicht näherkommen, wenn es nicht gerade um Fortpflanzung ging. Ja, das waren noch Zeiten: Wir waren zwar nicht hübsch, aber wir durften, wie wir eben nur wollten. Heute sind wir hübsch, dürfen aber nicht mehr.

Heute sind wir unverklemmt und hoffnungslos: Wichsen ist zwar medial angesagt, aber doch eigentlich langweilig, und wer wirklich vorne sein will heutzutage, der läßt es eben bleiben. Helga - in ihrer aktualisierten Form der Aufklärungsrolle - ist Film für die Wichser von heute.

Noch einmal schwärmen, wie schön es damals alles war, ist doch sinnlos: Für die drängenden und unbefriedigten Probleme der Sexualität in den Zeiten von Aids brauchen wir ganz andere Lösungen. Wie wurden wir denn wirklich aufgeklärt; mit Helga keinesfalls. Sondern mit der ergreifenden Broschüre des Paters Pereira. Das war kaum technisch, aber sehr moralisch, also unbedingt hilfreich. Wie lange müssen wir noch warten, bis dieses Traktat endlich in den einschlägigen Kneipen kursiert?

Lutz Ehrlich

Als die Liebe laufen lernte: „Die Aufklärungsrolle“, Regie Michael Strauven, Darsteller wie gehabt, Produzent Richard Claus, BRD im Geschlechterkrieg, 2,5 Minuten netto (durchschnittliche Aktzeit in deutschen Betten 1987)