van Basten schafft Gerechtigkeit

EM-Halbfinale: Ein Tor in der letzten Minute bringt das 1:2 für die Niederlande gegen die Bundesrepublik  ■  Aus Hamburg Jan Feddersen

Endlich hat die Fußballeuropameisterschaft ihre sportliche Sensation: Mit einem souverän erspielten 2:1 warfen die Oranje-Hemden aus den Niederlanden die Beckenbauer-Truppe aus dem Wettbewerb heraus. Obwohl das Team um Trainer Rinus Michels während seiner bisherigen drei Partien technisch versiert und intelligent die Lederpille zu bewegen verstand, gegen die UdSSR allerdings das Toreschießen vergaß, glaubten beinahe alle professionellen Unken, daß die Bundesdeutschen ein weiteres Mal mit Saft- und Kraftsport, mit hervorragender Kondition und aggressiver Spielweise die Finalteilnahme erreichen würden.

Daß es gnädigerweise nicht dazu kam, verdanken wir phantasievollen Akteuren wie Ruud Gullit, Marco van Basten, Erwin und Ronald Koeman - und all die anderen Kicker aus dem Land der Königin Beatrix. 15.000 Holländer, wahlweise mit orangen Schals, Käppis oder Rasta-Toupets a la Ruud Gullit feuerten ihre Oranjes an, ließen der restlichen Kulisse keine Chance zur lärmenden Entfaltung.

Den Fans mußte um ihre Lieblinge nicht wirklich angst und bange werden. Denn während die Herren Kohler, Brehme, Borowka, Matthäus unentwegt ackerten und den Ball in die unendliche Weite des Raums droschen, zirkelten die Niederländer das Leder wie auf dem Billardtisch, liefen so elegant über den Rasen, als sei er ein Laufsteg. Immer eine Spur durchdachter und kreativer - nur ein Tor wollte nicht fallen.

Neun Minuten nach Wiederanpfiff marschiert der schwäbische Sturmengel Jürgen Klinsmann gen Hans von Breukelen, seines Zeichens Torhüter der Oranjes. Knapp im Strafraum angelangt, wird er von Frank Rijkaard, der vorher Beckenbauers Sturmgruppe mit Rudi Völler und Frank Mill zu reinen Chorknaben degradiert hatte, zu Boden gefällt. Elfmeter. Matthäus - mit seiner schnaufenden Spielweise idealer Kapitän der Deutschen - verwandelt das Sonderangebot zum 1:0.

Aber Beatricia, Schutzpatronin friesischer Fußballkunst, hatte am Dienstag abend ein Einsehen mit den tapferen Oranjes. In der 70. Minute kämpften Marco van Basten und sein unbegabter Terrier Jürgen Kohler in Eike Immels Strafraum um den Ball, van Basten fällt grazil - Elfmeter. „Völlig zu Unrecht“, oder auch nicht. Ronald Koeman besiegelt mit dem Geschenk des rumänischen Schiedsrichters den 1:1-Ausgleich. „Oranje boven“, skandieren die 15.000 tanzenden Schlachtenbummler, als wäre der Samba in Amsterdam kreiert worden.

Die restlichen zwanzig Minuten gaben Gullitt, von Basten & Co. eine Lehrstunde in Sachen moderner Fußball. Eine Traumkombination nach der anderen, intelligente Flanken von links nach rechts und zurück - und plötzlich - in der 89. Minute, die Deutschen sahen sich gedanklich schon in der Verlängerung - steht wiederum Marco van Basten vor Immels Kasten, kriegt den Ball von Jan Wouters auf den Fuß gepaßt und sorgt mit einem Traumtor für Gerechtigkeit.

Schlußpfiff, Gullit, van Basten & Koeman schmeißen ihre Trikots in die in Orange getauchten Ränge. Und während die niederländischen Gäste eine Mega-Polonaise über den Rasen des Volksparkstadions zelebrierten, während sie sich freuten, es den „Moffen“ (holländisches Schimpfwort für die Deutschen) endlich einmal gezeigt zu haben, hoffte auf der Pressekonferenz Rinus Michels, daß das Gerede von der WM -Final-Revanche 1974 endlich vorbei sei.

Franz Beckenbauer schlüpfte in die Rolle des mildtätigen Gönners. Eigentlich, befand er in der ihm eigenen Noblesse, sei der Schiedsrichter schuld, der Elfmeter für die Holländer sei gar keiner gewesen. Aber den Sieg würde er den Niederländern gönnen, „die haben auch ganz gut gespielt.“

Der Trainer mit dem Flair moderner Gutsherrenart proklamierte flugs „ab morgen“ den Beginn der Qualifikationsrunde für die WM 1990 in Italien. Pech für ihn, daß in der betreffenden Gruppe auch diejenigen nach Italien wollen, gegen die Beckenbauer samt Mitarbeiter justamente mit 1:2 verloren haben. Nächste Begegnung beider Teams: am 19. Oktober.

BRD: Immel - Herget (45.Pflügler) - Kohler, Borowka Brehme, Mill (83.Littbarski), Matthäus, Rolff, Thon, Klinsmann, Völler

NIEDERLANDE: van Breukelen - Ronald Koeman - van Aerle, Rijkaard, van Tiggelen - Wouters, Muhren (59.Kieft), Gullit, Erwin Koeman, Vanenburg - van Basten

TORE: 55. Min 1:0 Matthäus (11m); 74. R.Koeman 1:1 (11m); 89. van Basten 1:2