„Die Nähe zu einer Juristin macht Angst“

Im Prozeß gegen Isolde Oechsle-Misfeld, frühere Anwältin des St. Pauli Killers Werner Pinzner, hielt die Verteidigung das Plädoyer / Die Staatsanwaltschaft habe den persönlichen Hintergrund ihrer Taten verdrängt und bei Beweismittel manipuliert  ■  Aus Hamburg Ute Scheub

Daß eine Angeklagte sich am Ende einer Hauptverhandlung bedankt, ist so außergewöhnlich wie dieser ganze Prozeß und seine Vorgeschichte. In ihrem Schlußwort formuliert Isolde Oechsle-Misfeld ein kleines, stockendes Dankeschön an das Gericht für die faire Verhandlungsführung und den psychologischen Gutachter Dr. Maisch und ihre beiden Anwälte für die geleistete Hilfe. Sie habe sehr damit zu kämpfen, sagt sie, daß das Geschehen nicht mehr gutzumachen sei.

Die letzten beiden Verhandlungstage haben den Plädoyers ihrer Verteidiger Winfried Günnemann und Michael Böhme gehört. Beide zeigen sich überzeugt, daß die frühere Anwältin des „St.Pauli-Killers“ Werner Pinzner im Hauptanklagepunkt nur wegen fahrlässiger Tötung und nicht wegen Mordes an Staatsanwalt Wolfgang Bistry verurteilt werden dürfe. Am 29.Juli 1986 hatte Pinzner im Hamburger Polizeipräsidium eine Pistole, an deren Beschaffung sie zugegebenermaßen beteiligt war, auf den Staatsanwalt auf zwei Vernehmungsbeamte, dann auf seine Ehefrau Jutta und zuletzt sich selbst abgefeuert. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft, Dr. Stechmann, wollte das in seinem Plädoyer letzte Woche als Beihilfe zum Mord an Bistry, versuchten Mord an den beiden Beamten und Tötung der Jutta Pinzner auf Verlangen geahndet wissen. Er forderte insgesamt elfeinhalb Jahre Knast.

Verteidiger Winfried Günnemann bestreitet diese Mordtheorie vehement. Von anderen Tötungsabsichten als dem geplanten Doppelselbstmord der Eheleute Pinzner habe Frau Oechsle -Misfeld nichts gewußt und nichts wissen können, da Pinzner spontan so gehandelt habe. Um das Gegenteil zu beweisen, sei die Staatsanwaltschaft nicht vor Manipulationen an Beweismitteln zurückgeschreckt. So habe sie Sätze aus Jutta Pinzners Briefen an ihren „Mucki“ unvollständig zitiert. Bei ihr habe es noch geheißen: „Es war eine Verarschung von der Schmiere, (ihr keinen unüberwachten Besuch bei ihrem Ehemann zu genehmigen, d.Red.), und ich habe gesagt, daß ich mir vorstellen könnte, daß du dich dafür eines Tages revanchierst.“ Bei der Staatsanwaltschaft sei daraus geworden: „Und ich habe gesagt, daß du dich dafür eines Tages revanchierst.“

Verteidiger Michael Böhme erklärt dieses Hinbiegen von Beweismitteln auch mit dem „politischen Druck“, der auf dem Verfahren gelastet habe. Vor wenigen Monaten noch habe der jetzige Bürgermeister Henning Voscherau zu den duch das Blutbad im Polizeipräsidium erzwungenen Rücktritten von Justizsenatorin Eva Leithäuser und Innensenator Rolf Lange erklärt: „Es steht jetzt fest: ein kriminelles Komplott führte zum Blutbad. Die Rücktritte waren ungerechtfertigt, haltlos und falsch.“

Beweise für die Theorie, der Mord an Bistry sei im Auftrag des Kiezes von St. Pauli verübt worden, seien jedoch nicht gefunden worden. Deswegen habe man „eine möglichst hinterhältige Anwältin als Sündenbock“ gebraucht, „um die eigenen Mißstände zu verstecken“. Die sehr persönlich -individuellen Tatmotive von Isolde Oechsle-Misfeld, die sich in dem Schicksal Jutta Pinzners wiedererkannte, habe die Staatsanwaltschaft „verdrängt“. „Als Juristin“, sagt der Verteidiger, „ist sie eine von uns. Diese Nähe macht Angst. Aber wenn man aus ihr eine hinterhältige, geldgierige Anwältin macht, hat sie mit uns nichts mehr gemein.

Michael Böhme appelliert an das Gericht, in der Strafzumessung die Möglichkeit einer psychotherapeutischen Behandlung offenzuhalten: „Jeder Tag Haft läßt sie mit ihren Problemen und Schuldgefühlen allein. Der Strafvollzug hat nichts anzubieten, was ihr für ihre Zukunft hilft.“ Das Urteil wird am Donnerstag nächster Woche gesprochen.