Angriff der Fußballfans auf die Hafenstraße

Deutsche Fußballfans stürmten nach verlorenem Halbfinalspiel die Hamburger Hafenstraße / Bewohner waren im Gegensatz zur Polizei auf den Angriff vorbereitet / Flugblätter hatten zum Sturmlauf aufgerufen / Polizei griff erst spät ein  ■  Aus Hamburg Axel Kintzinger

Am Anfang war ausgelassene Freude. Schon vor dem Halbfinal -Spiel hatten am Dienstag nachmittag mehrere tausend Holländer, von Kopf bis Fuß gekleidet und bemalt im Orange ihrer Nationalmannschaft, die Reeperbahn in Beschlag genommen, hatten getrunken, getanzt und gesungen. Klar, daß sie nach dem grandiosen Sieg Hollands wieder fahnenschwenkend an den Peep-Shows, Spielhöllen und Porno -Kinos vorbeiziehen. Währenddessen sammeln sich am Ausgang der S-Bahn-Station Reeperbahn eher schweigsame jugendliche Deutsche. Nur wenige tragen schwarz-rot-goldene Embleme oder Anstecker, es dominieren weite Jogging-Hosen und hellgrüne Bomberjacken. Innerhalb einer knappen halben Stunde schwillt die Menge auf bis zu 300 Personen an. Viele sehen jedoch aus wie Jugendliche, die man auch in Discos treffen könnte.

Eine Handvoll Polizisten sieht denn offensichtlich auch keinen Grund, sich mit der Ansammlung näher zu beschäftigen.

Rund um das Fußballspiel waren 2.500 Beamte im Einsatz, doch zu diesem Zeitpunkt beobachtet nur ein knappes Dutzend Uniformierter den Aufmarsch. Als die Menge wie aus dem Nichts losrennt, die Reeperbahn überquert und in Richtung der naheliegenden, ehemals besetzten Häuser in der Hafenstraße sprintet, bleiben die Polizisten ratlos. Was jetzt passieren sollte, hätte sie und die Polizeiführung nicht überraschen dürfen. Verschiedene Medien hatten in den vergangenen Wochen darüber berichtet, daß in Hooligan -Kreisen, also dem äußerst militanten Rand der Fußball-Fan -Szene, ein „Angriff“ auf die Hafenstraßen-Häuser geplant war. Noch während des Fußballspiels waren im Volksparkstadion Flugblätter aufgetaucht, die zum Sturm auf die bunten Häuser am Elberand aufriefen.

Im Gegensatz zur Polizei hatten sich die Bewohner jedoch auf diese Gefahr vorbereitet. Freunde und Unterstützer warteten gemeinsam mit ihnen vor den Häusern. Der Sturmlauf mit dem Schlachtruf „Hoooooligan! Hooooooligan!“ nimmt schnell ein Ende, als den überwiegend unbewaffneten Fans nur wenige waren mit Baseballschlägern und anderen Knüppeln ausgerüstet - klar wird, daß sie es mit einem ernstzunehmendem Gegner zu tun haben. Obwohl man sich mit „Rotfront verrecke“ und „haut die Chaoten platt“ aufmuntert, herrscht in Hooligan-Kreisen reichlich Respekt vor der Hafenstraße. Die Militanz und die Ausrüstung, über die sie gehört und gelesen haben, imponiert ihnen, vor allem den Auswärtigen. Als Hamburger Hooligans vor einem Angriff warnen, entgegnet ein Münchner stolz: „Entweder wir fallen, oder wir fallen nicht - die Sache ist es Wert.“ Denn, so der offenbar kampferprobte Münchner: „Wir sind die Geilsten, wir haben sogar die Engländer zum Laufen gebracht“ (vergangene Woche in München und Frankfurt - d. Red.).

Es ist exakt Mitternacht und die an die Hafenstraßen-Häuser angrenzende Bernhard-Nocht-Straße ist offen. Von der Polizei, die sich am anderen Ende der Hafenstraße mittlerweile postiert hat, ist hier weit und breit keine Spur. In die Richtung der bunten Häuser ergeht ein Steinhagel, Molotow-Cocktails und Leuchtkugeln kommen zurück.

Nachdem die offene Feldschlacht - einige werden durch Steinwürfe verletzt - schon mehr als eine Viertelstunde dauert, tauchen die ersten Polizisten auf. Ein erster zaghafter Versuch, die Bernhard-Nocht-Straße abzuriegeln, scheitert. Im Schutz der Polizei-Schilde feuern die Hooligans munter weiter. Erst weitere herangezogene, massive Polizeikräfte treiben einen Keil zwischen die nationalistische Parolen rufenden Hooligans und die Hafenstraßen-Beschützer. Für einen Augenblick ist es ruhig, nur von den bunten Häusern schallt „Nazis raus!“ Dann, ohne ersichtlichen Anlaß, stürmen die Polizisten nach vorne. Wieder fliegen Molotow-Cocktails, ein Polizist steht in Flammen. Zwischen die Fronten geraten, zwängen sich Passanten und Journalisten in Hauseingänge.

Die Hooligans, mittlerweile aus dem direkten Bereich der Hafenstraßen-Häuser abgetrieben, liefern sich währenddessen auf der Reeperbahn Auseinandersetzungen mit der Polizei.

Für die deutschen Hooligans verläuft die Nacht erfolgreich. Zum ersten Mal haben sie in der direkten Auseinandersetzung mit der Polizei nicht Reißaus genommen, sondern sich wie ihre verhaßten Vorbilder aus der Hafenstraße „dem Kampf“ gestellt. Und: „Von uns hat es kaum einen erwischt“, jubiliert einer mit deutlichem Ruhrpott-Dialekt. Er hat recht: Lediglich zwölf Fans nimmt die Polizei nach eigenen Angaben in dieser Gegend fest, einige, die unmittelbar neben Beamten Steine oder Flaschen warfen, werden nur kurz abgegriffen und hinter der Polizeilinie freigelassen.