Viel Süssmuth und ein bißchen mehr

■ Der erste Zwischenbericht der Enquetekommission Aids des Bundestages / Von Oliver Tolmein

Ein Jahr hatte man gebraucht, doppelt so lange wie vorgesehen, dann stand fest: Eine Reihe von Zugeständnissen der SPD, die gemeinsam mit der CDU die Süssmuth-Linie retten wollte, zum Trotz, scherten die vier bayerischen Kommissionsvertreter aus und veröffentlichten ein Minderheitsvotum (Motto: Kondomwerbung ist gefährlich). Die Grünen waren aus anderen Gründen nicht mit dem Mehrheitsbericht einverstanden (siehe Dokumentation), dessen 370 Seiten sie als weitgehend ungewichtetes Sammelsurium von sinnvollen, fragwürdigen und banalen Vorschlägen darstellen.

Ungewöhnlich turbulent ging es gestern vormittag auf der Bundespressekonferenz zu, wo der Zwischenbericht der Enquetekommission Aids vorgestellt wurde. Der Vorsitzende, Hans-Peter Voigt (CDU), lobte anfänglich noch den breiten Konsens, den seine Kommission gefunden habe, geriet aber schon nach wenigen Minuten aus dem Konzept. Gefragt, warum denn die von seiner Fraktion benannten Kommissionsexperten allesamt Vertreter der Gauweiler-Linie seien, beschränkte er sich auf ein überaus freundliches Lächeln und gab Erinnerungslücken zu: „Der Vorgang der Auswahl ist jetzt ja schon ziemlich lange her.“

Renate Schmidt, wiewohl als SPD-Abgeordnete sicher an den Findungsbemühungen der CDU/CSU- Fraktion nicht beteiligt, half da von Kollegin zu Kollege offensichtlich freudig aus (und Voigt dachte nicht daran, ihre Überlegungen zu dementieren): Weil Voigt als Vorsitzender der Kommission Anhänger der Süssmuth-Linie sei und der Einsetzungsbeschluß der Kommission sich an einer SPD-Vorlage orientiert, habe, so erklärte Frau Schmidt, die bayerische Staatsregierung auf der Benennung der Münchner Professoren Gallwas, Zöllner und Spann und des CSU-Fraktionsmitgliedes Geis bestanden.

Wozu das in der konkreten Kommissionsarbeit geführt hat, davon konnte man sich auf der Pressekonferenz schnell ein Bild machen. Kein Wort blieb ohne Widerwort - auf jede JournalistInnenfrage kamen mindestens zwei Antworten. Pikant wurde es, als der CSU-Mann Geis, um sein und der Experten Sondervotum zum Kapitel Prävention zu erklären, sichtlich angewidert auf die Homosexualität zweier Kommissionsmitglieder hinwies: „Da ist es kein Wunder, daß sie empfehlen, den Paragraphen 175 Strafgesetzbuch abzuschaffen.“ Daraufhin von Journalisten nach der sexuellen Orientierung der anderen Kommissionsmitglieder und den sich daraus ergebenden politischen Folgen befragt, reagierte Geis konsterniert, um dann auszuweichen: „Unser Minderheitenvotum zur Prävention ist insofern ein Minderheitenvotum, als wir hier in der Kommission die Minderheit stellen. Bezogen auf Europa aber...“ Als ein anderes CDU-Mitglied der Kommission, der Abgeordnete Blank, betonte, der Zwischenbericht unterstütze die Süssmuth-Linie, und sich dann namentlich bei der SPD-Obfrau Conrad für die konstruktive Mitarbeit bedankte, die CSU-Expertenriege aber rechts liegen ließ, war der desolate innere Zustand der Kommission vollends offensichtlich und die Freude auf den Pressebänken groß. Selten gibt es soviel Transparenz in Bonn.

Ein Wermutstropfen war dann der Zwischenbericht selber, der eigentlich auch schon seit einem halben Jahr fertig sein sollte. Weitaus weniger orginell als seine Vorstellung auf der Pressekonferenz liefert er auf 370 Seiten ein weitgehend ungewichtetes Sammelsurium von sinnvollen, fragwürdigen und banalen Einzelvorschlägen. So wird empfohlen, die Aids -Behandlung vor allem durch entsprechend qualifizierte Ärztinnen und Ärzte durchführen zu lassen. Nicht aufregender ist der Tip an den Gesetzgeber, „Untersuchungen über die Wirkung erfolgversprechender Therapieansätze“ zu unterstützen. Bemerkenswert dagegen die Empfehlung, „im Hinblick auf die mit hohen Kosten verbundene rasche und genaue Diagnose von Aids ...eine Leistungs- und Kostenanalyse ...im Vergleich mit ähnlichen, langwierig und kostspielig zu behandelnden Krankheiten mit tödlichem Ausgang durchzuführen“. Der Bericht schlägt auch vor, das Arzneimittelrecht so zu ändern, daß künftig „erfolgversprechende Therapeutika“ bei „Risikoentlastung des Herstellers durch andere Solidargemeinschaften“ vorläufig zugelassen werden können. Angeregt wird weiterhin, „zu prüfen, ob angesichts der Rechtsunsicherheiten bezüglich der Entnahme und Untersuchung von Blut sowie der Verwendung der so gewonnenen Daten gesetzliche Regelungen wegen der Beeinträchtigung des informationellen Selbstbestimmungsrechts geboten erscheinen“. Um die ideologische Diskriminierung Homosexueller zu beseitigen, soll der § 175 abgeschafft und statt dessen die Einführung einer einheitlichen Schutzvorschrift für männliche und weibliche Jugendliche geprüft werden. Erstaunlich ist, daß, wenn auch nur in „begründeten Einzelfällen“ und unter bestimmten Bedingungen, die Abgabe von Methadon für FixerInnen als Präventionsmittel gegen Aids von der Kommission anerkannt wird.