Die Europäisierung des Fußballs

■ Visionäre Betrachtungen zu einer Sportart, die aus den Fugen gerät und den Fan irre macht

Europa (taz) - Es ist kein Geheimnis, daß Westeuropa immer weiter zusammenrückt. Noch vor zehn Jahren war es undenkbar, in einer beliebigen irischen Stadt eine Flasche Chianti, ein Stück Roquefort oder - welch‘ Labsal - eine holländische Treibhaustomate auftreiben zu können. Heute ist das kein Problem mehr. Spanier ziehen sich Smörrebröd rein, Niederländer saufen Cappucino, Italiener Guinness, und in Deutschland wird das gemeine Frühstücksbrötchen zunehmend vom französischen Baguette verdrängt.

Nationale Eigenständigkeiten lösen sich in gesamteuropäisches Wohlgefallen auf, ein kulturell -kulinarischer Austausch führt zu allgemeiner Nivellierung, die Tendenz zur Vereinheitlichung reproduziert ehemals nationale Besonderheiten auf niedrigerer Ebene - als terroristische Internationale des Geschmacks.

Die Grenzen werden fließend, lösen sich auf, Europa gerät zu einem gigantischen Eintopf, einem faden Brei, angerichtet von 12 Köchen aus 11 Ländern. Nur England trinkt Tee und brummt.

Im Fußball ist das nicht anders. Wo früher alles fein säuberlich geregelt war, wo jeder Kicker brav seinem nationalen Klischee entsprach, geht es nun drunter und drüber.

Bis vor zehn Jahren hatte alles seine althergebrachte Ordnung: Der Deutsche besaß Kraft und Fortune, der Italiener war defensiv, fies und zu verspielt, der Spanier zu verspielt und nicht ganz so fies, der Russe, der sich immer wieder dazwischenmogelte, fair und stur, der Engländer war noch fairer und spielte Kick-and-Run, der Ire schließlich war dazu da, sich von allen anderen ordentlich einen auf die Mütze hauen zu lassen.

Die Europameisterschaft 1988 zeigte, wie sehr die Fußballwelt aus den Fugen geraten ist, wie kurz der Weg vom gemeinsamen Markt zur gemeinsamen Standardsituation, von der europäischen Währungsschlange zur europäischen Abseitsfalle war. Keine Mannschaft hält es auf ihrem angestammten Platz. Die Iren werden zum besten Team der Vorrunde, die Italiener offensiv, die Sowjets holzen, als bekämen sie es bezahlt, Dänen begehen versteckte Fouls, die Deutschen beweisen Kraft und Fortune.

Und die Entwicklung wird weiter voranschreiten. Als nächstes dürften die Einführung einer Europaliga und der freien Wahl des Arbeitsplatzes - Abschaffung aller Ausländerklauseln - auf der UEFA-Tagesordnung stehen. In Italien und Spanien werden dann vermutlich nur noch Stars aus dem Ausland aktiv sein, während über das restliche Europa eine Flut von arbeitslosen italienischen und spanischen Kickern hereinbrechen wird.

Nationalmannschaften werden dann - wie beim Polo - aus den Spielern zusammengestellt, die in einem Land aktiv sind, Länderspielübertragungen ziehen sich in die Länge, weil die Hymnen aller beteiligten Akteure intoniert werden müssen, Fans brechen unter der Last ihrer verschiedenen Nationalflaggen zusammen und wissen nicht mehr, mit wem sie sich eigentlich prügeln sollen - ein „Turmbau zu Babel“ der Gewalt sozusagen.

Europas Fußball gerät zu einem gigantischen Eintopf. Nur England trinkt Tee und brummt.

Matti