Frauenförderung im Revier

Mit Qualifizierungsprogrammen und neuen Arbeitsplatzangeboten soll die strukturell bedingte Benachteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt in den Stahlstandorten abgebaut werden / Mittel für neun Pilotprojekte  ■  Von Helga Kuhn

Ein Stahlbetrieb hat keine Frauenarbeitsplätze, jedenfalls nicht, wenn man von der klassischen Definition ausgeht. Und entsprechend wenige Frauen haben in Hattingen einen Arbeitsplatz.“ Ingrid Wawzyniak weiß, wovon sie redet. Sie ist Frauenbeauftragte in Hattingen, der Stadt, in der wie in fast keiner anderen in der Bundesrepublik ein Großteil der Arbeitsplätze vom Stahl abhängt. 1.800 dieser Arbeitsplätze werden demnächst wegfallen, wenn in der Thyssener Henrichshütte kein Stahl mehr produziert wird. „Bei dem Unstrukturierungsprozeß, der jetzt nowendig ist, kann es aber nicht nur darum gehen, Arbeitsplätze für die Stahlarbeiter zu finden, die jetzt entlassen werden“, sagt Ingrid Wawzyniak. „Uns geht es darum, jetzt auch die Chancen für Frauen zu verbessern, die hier aufgrund der Stahlmonostruktur immer besonders schlecht waren.“ Nur 30 Prozent der Frauen in Hattingen sind erwerbstätig. Das sind knapp zehn Prozent weniger als im Bundesdurchschnitt, und trotzdem sind fast die Hälfte aller Arbeitslosen, nämlich 46,7 Prozent, Frauen.

Ingrid Wawzyniak und ihre Kolleginnen in anderen Städten im Montanrevier wie Oberhausen, Hamm, Witten, Lünen, Unna und Bochum wollen dies ändern. Seit kurzem können sie dabei auch auf finanzielle Unterstützung aus der Landeshauptstadt Düsseldorf rechnen. Um die Strukturkrise in den Montanrevieren zu bewältigen, will die Landesregierung Nordrhein-Westfalen in den kommenden vier Jahren rund zwei Milliarden Mark ausgeben. 150 Projekte hat sie im Rahmen der „Zukunftsinitiative Montanregionen“ als „förderungswürdig“ ausgewählt. Obwohl ein Großteil der Projekte direkt auf die arbeitslosen Kohle- und Stahlarbeiter zugeschnitten ist, sind auch - erstmalig in einem Wirtschaftsförderungsprogramm - neun Frauenprojekte darunter. Zwei davon sollen in Hattingen realisiert werden: eine Beratungsstelle „Frau und Beruf“ und ein Weiterbildungsprojekt „Neue Technologien von Frauen für Frauen“.

Aufgabe der Beratungsstelle wird sein, die traditionelle Erwerbsbenachteiligung von Frauen in Hattingen zu mildern. Zum Beispel durch ein „Berufswahltraining“ für Mädchen in den letzten Schulklassen. Mädchen sollen ermuntert werden, nicht nur Berufe wie Verkäuferin oder Friseuse anzustreben. „Aber es ist nicht damit getan, daß Mädchen auch gewerblich -technische Berufe erlernen“, sagt Ingrid Wawzyniak. „Als Maler und Lackierer bekommen Mädchen schon häufiger eine Lehrstelle angeboten, aber in qualifizierten Ausbildungsberufen mit Zukunft, zum Beispiel als CNC-Dreher an computergesteuerten Werkzeugmaschinen, ist der Andrang groß, und da nehmen die Betriebe dann doch wieder nur die Jungen.“

Deshalb sollen auch Firmen und Betriebe beraten werden: über Frauenförderpläne nach amerikanischem Vorbild zum Beispiel oder über Landesprogramme, die Firmen in Anspruch nehmen können, wenn sie Mädchen und Frauen qualifiziert ausbilden und beschäftigen. Ein ähnliches Programm soll in Hamm von einer „Kommunalstelle zur Förderung der Frauenerwerbstätigkeit“ verwirklicht werden. Wie in Hattingen sollen hier die Chancen von Mädchen ebenso wie die von Wiedereinsteigerinnen beispielsweise durch „Computer -Schnupperkurse“, Berufsinformationsseminare und „Seminare zur Lebensplanung“ verbessert werden.

Das zweite Hattinger Projekt wird Modellcharakter haben. „Neue Technologien von Frauen für Frauen“ sollen hier vermittelt werden. „Sehr viele Frauen werden durch die neuen Technologien ihren Arbeitsplatz verlieren, denn vor allem niedrig qualifizierte Arbeitsplätze zum Beispiel im Büro werden wegfallen, und das sind ja typische Frauenarbeitsplätze“, beschreibt Ingrid Wawzyniak die Ausgangssituation. Trotzdem sitzen in den Fortbildungskursen, in denen der Umgang mit dem neuen Arbeitsgerät Computer erlernt werden kann, bislang vor allem Männer. Im Hattinger Modellprojekt sollen reine Frauenlehrgänge stattfinden. „Männer und Jungen sind oft immer noch davon überzeugt, daß Frauen komplizierte technische oder mathematische Zusammenhänge nicht begreifen. Die Kursteilnehmerinnen stehen dann ständig unter dem Druck, sich beweisen zu müssen, und da sie sich selbst oft auch nicht allzuviel zutrauen, brechen sie solche Kurse bald wieder ab“, weiß Ingrid Wawzyniak aus Erfahrung mit gemischten Lerngruppen der Hattinger Volkshochschule. Die Erfahrungen an reinen Mädchenschulen beweisen dagegen, daß Mädchen ebenso erfolgreich und mit Spaß computern wie Jungen.

Unterrichten werden in Hattingen ebenfalls nur Frauen. Damit möglichst viele Frauen teilnehmen können, wird jeder Kurs einmal am Vormittag und auch am frühen Abend oder Samstagnachmittag angeboten. Und bei allen Kursen gibt es eine Kinderbetreuung. Vor allem aber soll das Angebot nicht auf Grundkenntnisse in EDV und Textverarbeitung beschränkt bleiben, sondern die Frauen können in Aufbaukursen zum Beispiel lernen, per Computer Texte zu layouten und auch selbst zu programmieren. Die Laufzeit der Kurse beträgt drei Jahre, danach soll eine Dokumentation über die Erfahrungen berichten. Die dürften nicht nur für Frauen aus den Montanregionen interessant sein. „Uns geht es hier zwar besonders dreckig“, meint Ingrid Wawzyniak, „aber solche Programme werden sicher auch woanders gebraucht.“

Die Autorin ist Mitarbeiterin von Frauenpress, Köln