Heißer Wahlkampf um ein Millionending

Am Sonntag werden Freiburgs BürgerInnen per Stimmzettel über den umstrittenen Bau einer „Kultur- und Tagungsstätte“ (KTS) entscheiden, mit dem die Stadtverwaltung Freiburgs Zukunft als Kongreßzentrum einläuten will / Die Stadt zieht beim Stimmenfang für das Mammutprojekt alle Register  ■  Von A.HöschundH.Melcher

KTS - was ist das? Wer in Freiburg diese Frage stellt, ist eindeutig entlarvt: als Tourist. Die Kamera zückt er vergeblich, denn noch gibt es sie nicht. Längst wissen die Freiburger, was sich hinter den drei Buchstaben verbirgt: die geplante Kultur- und Tagungsstätte. Das Mammutprojekt hat der Schwarzwaldmetropole ein unerwartetes Novum beschert: der erste kommunale Bürgerentscheid der Nachkriegszeit; am 26.Juni wird abgestimmt.

Schon seit drei Jahren kämpft die „Bürgerinitiative gegen das Kongreßzentrum“, um den gigantischen Bau mitten in der City zu verhindern. Nachdem der Gemeinderat gegen die Stimmen der Grünen, der Friedensliste und Teilen der SPD längst grünes Licht signalisiert hatte, zogen die Gegner aus, um Unterschriften für eine Abstimmung aller Bürger zu sammeln. Mit Erfolg. Die über 20.000 Unterschriften (davon wurden 15.000 anerkannt) haben der Stadt offensichtlich einen Schrecken eingejagt. Mit einem solchen Potential des kritischen Lagers hatte im Rathaus wohl niemand gerechnet. Seither werden alle Hebel in Bewegung gesetzt, um das Prestigeobjekt des Oberbürgermeisters, dem SPD-Mann Rolf Böhme, ungeschoren über die Bühne zu bringen. Mobilisierung der Befürworter heißt die Devise. An stadtprominenten und finanzkräftigen Multiplikatoren fehlt es den sich formierenden Protagonisten nicht, - an Argumenten aber sehr wohl, bekräf tigt Erwin Czarzynski von der „Contra-BI“.

Mit Rosen auf Stimmenfang

Samstagmorgen in der City: Mit Rosen, Preisen und Broschüren werden die Passanten auf das Pro-Kreuz eingestimmt. Da Freiburg der Kongreßzentrums-Konjunktur sowieso um Jahre hinterherhinkt, soll diesmal nichts mehr schiefgehen. Schon einmal, Mitte der siebziger Jahre, mußte die gigantische Überbauung der Bahnhofsgleise abgeblasen werden. Das Projekt scheiterte an den veranschlagten 200 Millionen Mark Baukosten. Die Pläne für ein Kongreßzentrum verschwanden vorerst in der Schublade, bis eines Tages Ministerpräsident Lothar Späth bei einer seiner seltenen Stippvisiten in Freiburg auftauchte. Als Späth 30 Millionen Mark Landeszuschüsse für einen Kongreßneubau versprach, wurden die Freiburger Stadtväter wieder hellwach und machten sich erneut ans Reißbrett. Das Ergebnis: ein preisgekröntes Architektenmodell, das zwischen Universität, Theater und Bahnhof realisiert werden soll. Daß auf dem vorgesehenen Baugelände unter anderem noch ein Hotel der stationierten französischen Streitkräfte steht, macht den Planern keine Sorgen: Der Platz wird für die 2.000 Personen fassende KTS kurzerhand „freigeräumt“, das Hotel abgerissen.

Auf die „paar“ Millionen Mehraufwand (zehn bis 15 Millionen) kommt es augenscheinlich nicht an, zumal die Stadt sie vorsorglich ganz aus der Kalkulation draußen läßt. War anfänglich noch von 70 Millionen Mark Baukosten die Rede, übersteigt die Kostenaufstellung nunmehr schon die 90 -Millionen-Grenze. Selbst diese Summe scheint den Kritikern gehörig untertrieben, realistisch sei aufgrund ähnlicher Erfahrungen in anderen Städten von mindestens 140 Millionen Mark auszugehen. „Ein Mammutprojekt, was die Stadtfinanzen selbst bei erheblicher Fremdfinanzierung kahlschlagen wird“, folgert Czarzynski. Konkret: Das Millionending gehe eindeutig zu Lasten anderer Etats - für Soziales werde die Stadt ganz einfach weniger ausgeben können. Augenwischerei betreibe die Stadtverwaltung auch mit dem zugkräftigen Argument der Arbeitsplätze. „Einige Hundert würden geschaffen und stabilisiert“, behauptet der Multifunktionär und Sprecher der Pro-Initiative „Bürger stimmen für Freiburg - ja zur KTS“, Helmut Heine, gegenüber der taz. Die Gewerkschaften jedenfalls haben angebissen und agieren in seltener Eintracht mit Geschäftsleuten, Arbeitgebern und Wirtschaftsverbänden auf der Befürworterseite.

Indes bezweifeln die Gegner, ob angesichts des völlig überfluteten Kongreßmarktes in der Republik eine solche Investition überhaupt rentabel wirtschaften kann. Hinzu kommt die Befürchtung, daß Stadtteile vernachlässigt oder gar in ihren gewachsenen und studentisch alternativen Strukturen zerstört werden, denn Makler und Spekulanten hören schon die Kassen klingeln. Daß sich rund um die KTS sehr schnell eine herausgeputzte „High Society„-Atmosphäre ausbreiten wird, liegt auf der Hand. Die „Alternativen“ passen dann nicht mehr ins gewünschte Stadtbild.

Für die Stadtverwaltung wäre dies allerdings eine wünschenswerte Entwicklung. Was die Zukunft Freiburgs betrifft, setzt sie auf die Ansiedlung von neuen Technologiezentren und die Steigerung des Tourismus- und Tagungsgeschäfts, um endlich - so stellen es sich die Stadtväter vor - die negativen Spitzenränge im Ländle loszuwerden. Sowohl bei der Pro-Kopf-Verschuldung als auch bezüglich der Arbeitslosenquote „führt“ die industriearme Schwarzwaldmetropole die Statistiken an. „Ein blinder Irrglaube“, kommentieren „Contra-BI“ und die Grünen.

Immenses Übergewicht

der etablierten Kultur

Oberbürgermeister Böhme und „seine“ Stadtverwaltung lassen sich jedoch nicht aus dem Konzept bringen. Die Schar, die sich inzwischen den Befürwortern angeschlossen hat, ist beträchtlich. Die Liste reicht wie gesagt von den Gewerkschaften über Narren- und Bürgervereine bis hin zur Industrie- und Handelskammer. Es darf spekuliert werden, ob nicht hie und da mal ein verlockendes Versprechen als „Dankeschön“ nachgeholfen haben mag.

Nachhelfen läßt sich beispielsweise auch mit lancierten Gerüchten. Neben anderen kursiert die Kunde, der „Arbeitskreis Alternative Kultur“ (AAK) sei „käuflich“, weil er sich in Sachen KTS Maulschellen habe verpassen lassen. Im Gegenzug soll die Stadt dem Verein den (längt überfälligen) Ausbau der „Gießereihalle“, einer alternativen Veranstaltungshalle, versprochen haben. „Quatsch, nichts davon ist wahr“, betonen Stefan Weiland und Atai Keller vom AAK. „Die wollen uns doch nur innerhalb der Szene anschwärzen.“ Und: „Wenn das so aussieht, müssen wir noch viel lauter gegen die KTS brüllen, als wir das ohnehin schon tun.“

Auch das Presse- und Informationsamt der Stadt reagiert mit „ausgemachter Unsinn“ auf das Kuhhandel-Gerücht. In einem anderen Fall fällt das Dementi aber merklich schwerer: Ein Konzertveranstalter aus der Region hat seine Chance gewittert und fordert für sein öffentliches Eintreten Pro -KTS Terminreservierungen, freie Logis und selbstverständlich höhere städtische Zuschüsse. Ja, von einem solchen Brief wisse er wohl, antwortet der Amtsleiter der Öffentlichkeitsarbeit, betont aber zugleich, daß die Forderungen nichts mit dem anstehenden Bürgerentscheid zu tun hätten. Außerdem sei es kein Geheimnis, daß auch schon andere Vereine wie zum Beispiel das Philharmonische Orchester lange schon ihre KTS-Wünsche bei der Stadt vorgetragen hätten.

Der OB selbst hält sich nach außen auffällig bedeckt, die Holzhammerarbeit vor Ort läßt er andere machen. Schließlich denkt er nicht im Traum daran, gleichsam mit der KTS sollte sie scheitern - sein politisches Schicksal an den Nagel zu hängen. Also delegiert er. Eines hat jedoch kein anderer als er verfügt: Für viele völlig überraschend hievte er das sogenannte Kulturpaket auf die Tagesordnung der letzten Gemeinderatssitzung vor dem Bürgerentscheid. Den Grund zu erkunden braucht's nur wenig Phantasie. Demonstrativ soll dem Freiburger Bürger nochmal vorgeführt werden, wieviel doch die Stadt gerade für die alternative Kultur ausgibt. Dahinter steckt die unausgesprochene Aufforderung: Bitte schön, tut jetzt auch mal was für die etablierte Kultur, sprich: KTS. Verschwiegen werden bei diesem Legitimationsversuch zum einen das immense Übergewicht etablierter Kultur und zum anderen die Planlosigkeit der Investitionen in alternative Projekte. „Die Gießereihalle bleibt ein Dauerprovisorium“, argumentiert Atai Keller, denn von den veranschlagten Gesamtbaukosten von 2,8 Millionen Mark soll sich der AAK vorerst mit nur 750.000 Mark zufriedengeben. Ob dieses Vorgehen der Stadt ganz im Sinne der seit Jahren betriebenen „Befriedungspolitik“ wiederum auf Gegenliebe stößt?

Szenenwechsel, zurück zu den Aktivitäten der „Pro-Gruppe“, die - eine Hand wäscht bekanntlich die andere - bei einer Freiburger Großmetzgerei ihre Büroräume eingerichtet hat, „weil dort zufällig Büroräume leerstanden“. Im Gespräch präsentiert Heine dann auch mit geschwellter Brust ein Schreiben, das er als „vorbildhaft und nachahmenswert“ bezeichnet. „Gebt den Gegnern keine Chance“ heißt es darin wörtlich. Absender: ein bekannter Freiburger Elektrounternehmer, Adressat ist „seine“ Belegschaft. Auch darf nicht die lokale Monopolzeitung 'Badische Zeitung‘ vergessen werden, die sich unlängst schwarz auf weiß als Unterstützerin der KTS bekannt hat und kritische Leserbriefe unterdrückt.

Je mehr sich die Pro-Werbeschlacht auswächst, um so naheliegender wird die Feststellung der „Bürgerinitiative gegen das Kongreßzentrum“: „Die KTS ist ein Exempel für die städtische Macht- und Interessenpolitik, das sie am liebsten über die Köpfe der Bürger hinweg entschieden hätte.“ Die Protagonisten der KTS indessen charakterisieren ihre Gegner als eine „Gruppe von Unzufriedenen und ewigen Nein-Sagern“. Peinlich wäre es für die Befürworter-Riege bloß, würde sich die Mehrheit der Freiburger Bürgerschaft am 26.Juni den „Verweigerern“ anschließen. Dafür müßten allerdings die Kritiker des „Jahrhundertprojekts“ gerade wegen der ungleichen Kräfteverhältnisse lautstärker und präsenter auftreten, um das Quotum von 39.000 Stimmen, das entspricht einem Drittel der Stimmberechtigten, zu erreichen.