Ein Loblied auf die freie Frau

■ Macht Karriere im Journalismus alkoholsüchtig, asozial und dumm? Wollen Frauen Männern alles nachmachen? / Für die freie Journalistin und den bissigen Blick auf die Männerwelt plädierte Cora Stephan auf der ersten Jahrestagung des Journalistinnenbundes

Cora Stephan

Der Mann, mit dem ich vor wenigen Wochen telefonierte, ist ein netter, sensibler Kerl und Ihnen allen bestens vertraut: es ist derjenige, der Ihnen, nachdem Sie diesen Job, jene Stelle oder die Teilnahme an dieser oder jener Veranstaltung abgelehnt haben, ein herzliches Kompliment ausspricht: „Ach wissen Sie, es gibt so wenig gute Frauen, also wirklich gute Frauen!“ Der Deutsche Journalistinnenbund ist in dieser Hinsicht männerfreundlich: Dem Kollegen kann demnächst aus seiner Verlegenheit herausgeholfen werden.

Der Netzwerk-Gedanke hat seine gute, pragmatische Seite, die da heißt: Frauen können Frauen sehr darin behilflich sein, dahin zu gelangen, wo sie hinkommen wollen - und sei es nur mit einer Antwort auf die in letzter Zeit häufiger gewordene männliche Frage: „Ham Se mal ne selbstredend gute! - Frau für mich?“ Wir haben, reichlich, womöglich sogar überreichlich: Denn warum eigentlich, frage ich mich immer wieder, ist es nötig, eine gepflegte Runde männlicher Nullen noch mit einer weiblichen Eins anzureichern? Gesiegt haben Frauen bekanntlich erst dann, wenn sie ungeniert genauso bieder, faul und phantasielos sein dürfen, wie es viele unserer etablierten Kollegen heute sind.

Ich möchte - nur scheinbar paradoxerweise, denke ich ausgerechnet am Eröffnungsabend der ersten Jahrestagung eines Netzwerkes eines seiner Ziele relativieren: Ja, Frauen sollen sich fördern und mehren, nein, nicht jeder Job ist es wert, quotiert auch Frauen zuzufallen, und solange Journalismus noch etwas zu tun hat mit Schreiben, mit Kreativität, mit Urheberschaft, mit Erzeugen, wie es ja so schön heißt, ist die Arbeit in den Institutionen für Frauen noch nicht einmal umstandslos empfehlenswert. Ich für meinen Teil stelle in Frage, daß eine Machtposition von Frauen in irgendeinem Medium unbedingt wirksamer ist als die kleinen oder größeren Interventionen freier - also unabgesicherter, aber auch unabhängiger - Geister von außen. Ein Plädoyer also für die Freien, die im Netzwerk Deutscher Journalistinnenbund ja auch vertreten sind, verbunden mit einem bißchen Zweckoptimismus, Dezisionismus und subjektiver Wunschproduktion. Karriere um jeden Preis?

Der Ruf nach der Frau für diesen Job oder jene Position, behaupte ich, wird in den nächsten Jahren noch lauter erschallen - und bald, womöglich immer öfter, von einem gewissen männlichen Knurren begleitet sein: „Aber die Weiber wollen ja im Grunde gar keine Karriere machen, wollen keine Verantwortung übernehmen.“ Ich widerspreche diesem Knurren schon lange nicht mehr. Ich gebe den knurrenden Kollegen, deren Geschenke an die Damenwelt noch nicht einmal mehr graziös angenommen werden, vielmehr völlig recht: Es ist in der Tat vielerlei, was da der sogenannten „guten, der wirklich guten“ Frau als Top-Position angeboten wird, eine rechte Zumutung, der sie sich aus triftigem Grund verweigert.

Ich meine gar nicht einmal so normale Dinge wie eine Diskriminierung via Gehalt oder Aufgabenzuweisung im Vorfeld, ich meine auch nicht nur den schweren Stand, den Frauen als Minderheit in einer Männerdomäne nun einmal haben. Ich meine erst Recht nicht den ständigen Kampf etwa um Frauenthemen in Presse, Funk oder Fernsehen. Ich meine vielmehr etwas, das Männern und Frauen eigentlich gleichermaßen unter den Nägeln brennen müßte: Karriere in Institutionen unserer weitläufigen Presselandschaft, wie das so gemütlich heißt, kann, überspitzt gesagt, alkoholsüchtig, asozial und dumm machen.

Karriere in unseren Presseorganen bedeutet endlich, endlich das Recht auf die 60-Stunden-Woche auch für Frauen, bedeutet demnach einen Verzicht auf alles, was zum Alltag gehört und das kann wahrlich auch dort, wo es keine Kinder gibt, für Frauen viel sein und viel bedeuten -, heißt ständige Verfügbarkeit und damit Aufgabe von Intimität und Privatleben - ein Skandal, der die Republik erschüttert, macht natürlich auch vorm Bett der ermüdeten oder gar lustvollen Redakteurin nicht halt -, und heißt schließlich die Einpassung in Strukturen, für die Frauen nicht erzogen worden sind. Ich sage heutzutage: Gott sei Dank.

Ich habe das vorhin einmal gesagt, wiederhole es sicherheitshalber noch einmal: Journalismus, ich denke da vor allem an politischen Journalismus, beispielsweise auch an Bonn, kann häufig eine Entwurzelung bedeuten, die auch für Männer qualvoll ist, denen indes oft noch von Ehefrau oder Lebensgefährtin das Süppchen gekocht und das Händchen gehalten wird. Immerhin.

Warum Frauen dieses Spiel auf Deubel komm raus und womöglich noch quotiert mitmachen sollen, die offenbar stärker als die Männer mit einer Erinnerung gestraft (oder beschenkt) sind an alles, was diesseits des Berufslebens liegt, ist mir mittlerweile eher schleierhaft. Das soll kein Klagelied werden, jenes bekannte Lied von der Doppelbelastung und den männlichen Strukturen, verbunden mit der konkreten und korrekten Forderung nach Arbeitszeitverkürzung - die für engagierte Journalisten und Journalistinnen eh utopisch ist, wenn der Skandal oder die Republik ruft. Nein, ich will vielmehr ein Loblied auf die freie Frau singen und währenddessen die fehlende Alterssicherheit mal kurzfristig hintanstellen. Der verstellte Blick

Den Kampf in den Institutionen mag frau führen, wenn sie will. Über die vielfältigen Fallstricke wird sie sich im klaren sein. Insbesondere im Journalismus - oder, besser gesagt vielleicht, bei den vielen Weisen des Schreibens und Sprechens - kommt eine dieser Tätigkeit spezifische Gefahr hinzu - ich nenne das mal den verstellten Blick.

Damit meine ich nicht das Jammerlied über den Anpassungsdruck in den Institutionen: Natürlich ist man als festangestellte Journalistin oder Redakteurin oder Pressesprecherin auch Teil dieser Institutionen, und ein Amoklauf gegen ihre geheimen und offenen Gesetze ist niemandem zuzumuten. Ich meine auch nicht nur die Affirmation an jene alltagsabgewandte Weltsicht, wie sie weitgehend in der politischen Berichterstattung vorherrscht. Mein Lieblingsbeispiel dafür sind die Stundennachrichten eines Rundfunksenders an jenem Tag, an dem man über den Reaktorunfall in Tschernobyl erfuhr: Nachdem mehrere Stunden lang über handfeste Dinge berichtet worden war - nämlich, daß sich höchstwahrscheinlich in der Sowjetunion ein GAU ereignet habe -, ging man plötzlich zur Nicht-Nachricht über, nämlich nach Bonn, aus dem verlautete, daß man eigentlich nichts wisse, aber schon mal vorsorglich behaupten könne, es gebe überhaupt keinen Grund zur Beunruhigung. Auch hier ist der verstellte Blick am Werk. Womöglich ist er das auch, wenn Journalistinnen den vielstimmigen Chor der Politikerinnen überhören und lieber mit Oskar Lafontaine über Arbeitszeitverkürzung reden. Ganz gewiß gehört es zum verstellten Blick, wenn Frauen in womöglich besonders mächtigen Medien die Kritik an anderen Frauen oder an Frauenbewegung und Frauenpolitik nicht mehr wagen mögen, weil sie nicht auf der falschen Seite stehen wollen, von 'Emma‘ nicht mit dem Etikett der Denunziatorin bedacht werden möchten - wie es 'Spiegel'-Redakteurin Ariane Barth kürzlich widerfuhr - oder einfach nur, weil sie sich auf Frauensolidarität nötiger denn je angewiesen fühlen. Denn in Wirklichkeit gehören Frauenthemen in Frauennischen längst zum guten Ton, sie stören die Männer nicht weiter und müssen deshalb keineswegs so verbissen verteidigt werden, daß Kritik und Selbstkritik unter den Tisch fallen. Abenteurertum

Auch das gehört zum verstellten Blick und ist nicht dazu geeignet, die Welt, in der wir leben, aus den Angeln zu heben. Für viele von Ihnen klingt das vielleicht furchtbar banal, wenn ich zum zigsten Mal in den Ruf ausbreche: Nein, die Hälfte vom ganzen Elend genügt mir nicht. Gisela Wülffing hat es kürzlich in der 'tageszeitung‘ für die Anfangsjahre der taz sehr schön beschrieben: Die „Berichterstattung über die quotierte Welt der Frauen“ wird auf die Dauer langweilig, wenn das „leichtlebige Abenteurertum“ fehlt und jene „Eigentlich-Uneigentlich -Haltung“ die Freiräume für Frauen offenhält. Sie fordert den ironischen, den souveränen, den weiblichen Blick auf die herrschenden Zustände - jenen weiblichen Blick, der bekanntlich mit Biologie nichts zu tun hat, sondern der befremdete Blick auf eine fremde Welt ist: Frauen sind nunmal im Journalismus oder etwa in der Politik so wenig selbstverständlich, daß sie deren Strukturen gegenüber diesen fremden Blick noch haben können: mit Ironie, ohne Unschuld.

Wie das aussehen könnte, ist, das gebe ich zu, schwer zu sagen. Gisela Brackert hat den Begriff der „negativen Affirmation“ benutzt, um zu umschreiben, wie eine Strategie des weiblichen Blicks funktionieren könnte: Sie macht das, was in der Liebe wie in der Politik gleichermaßen verboten ist - sie nimmt die Dinge und die Personen beim Wort. Anders gesagt: Nichts könnte tödlicher sein als die Interpretation mancher politischen Großtaten, die übliche Frage „Cui Bono?“, wem nützt das, wer profitiert davon, wegzulassen, auf die Entlarvung zu verzichten und beispielsweise die Regierungspolitik in Sachen Frauen beim Wort zu nehmen, solange ernstzunehmen und zum Guten und Besseren aufzufordern, bis die Seifenblase zerplatzt. Marktlücke Männerwelt

Aber lassen wir die Frauenthemen einmal weg: Ich wünsche mir mehr und mehr den weiblichen Blick auf die Männerwelt, das liebevolle Betrachten und gnadenlose Sezieren ihrer kleinen und großen Rituale, sei es in der Bundeswehr, am Stammtisch, im Büro oder beim Frühstückmachen. Von diesem befremdeten, hoch erstaunten Blick sind sie für meinen Geschmack viel zu sehr verschont geblieben, statt dessen verraten Frauen laut, gern und ständig ihre eigenen kleinen Geheimnisse an eine unwillige oder desinteressierte Öffentlichkeit. Der fremde Blick auf die Männerwelt - da wäre noch viel zu sehen, zu entdecken und auszuplaudern, eine echte Marktlücke, also.

Diesen fremden Blick kann man sich in einer Institution oft schwer leisten, in der Frauen sowohl konkurrieren als auch am gemeinsamen Strick mitziehen müssen. Ich behaupte aber zweckoptimistisch, daß es einen Markt für solche Themen gibt, denn die Medien sind auf Neues - und sei es eben nur die neue oder eigenartige Perspektive - stets erpicht. Eine Chance für die freie Frau.

Diese Chance heißt, das will ich durchaus zugeben, aus dem Mangel eine Tugend zu machen. Aber in der Festanstellung liegt, gerade im schreibenden Gewerbe, keineswegs nur das Heil, und im Bereich der Frauenthemen und Frauennischen, wie gerade jene Frauen wissen, die wie Löwinnen um den Bestand dieser Einrichtungen kämpfen, ist keineswegs nur Segen. Frauen sind, weil sie nunmal noch immer andere Optionen haben als nur die eine, nämlich die männlich orientierte Berufslaufbahn von der Wiege bis zur Bahre, häufig flexibler und risikobereiter, noch immer mit einem Sensorium für die Welt „da draußen“, wie Politiker aus dem Bauch Bonns gerne sagen, ausgestattet und leider Gottes auch verzichtsbereiter als Männer. Der freie Beruf kann sie zu immenser Selbstausbeutung verleiten und bietet doch zugleich unendlich viele Möglichkeiten sich einzumischen und auszuklinken, bevor der fremde Blick im Geschäftsgang der Institutionen zum verstellten Blick geworden ist.

Da ich mir für diesen Abend den Zweckoptimismus und die Wunschproduktion ja einfach zugestanden habe, will ich mich in den Details natürlich nicht festlegen. Aber ich denke, gerade in den Berufen, die mit Schreiben und Sprechen zu tun haben, ist für Kreativität überlebensnotwendig, was Frauen auf allen Ebenen ja häufig leben: der ständige Wechsel. Barbara Sichtermann hat das, was Frauen vielfach praktizieren, den Wechsel zwischen Alltag, Privatleben, Berufsarbeit, „Patchwork-Karriere“ genannt. Dieses bunte Webmuster wünsche ich mir, offensiv gewendet, im und zugunsten des Journalismus: eine Durchlässigkeit der verschiedenen Ebenen gegeneinander, die Möglichkeit eines Wechsels zwischen der Arbeit in den Institutionen und dem freien Abenteurertum, zwischen einem oft trägen Berufsbeamtentum in den Medien und einem oft allzu riskanten Freisein. Wunschproduktion, wie gesagt. Aber für viele Freie durchaus lebbar und lebenswert.