Bei kritischen Aktionären hilft „Spalt“ nicht

Bayer-Vorstand muß auf der Hauptversammlung Mißstände zugeben  ■  Aus Köln Johannes Nitschmann

Die Stimmung schwankt zwischen Volksfest und Schlußverkauf. Über 12.000 Menschen tummeln sich in den weitläufigen Kölner Messehallen. Die Hauptversammlung des Chemie-Konzerns Bayer ist ein Geheimtip für viele Kleinst-Aktionäre. Nirgendwo sonst auf bundesdeutschen Aktionärs-Hauptversammlungen werde „mehr geboten“, klärt mich ein Insider über den Rekordandrang auf. Der Bayer-Konzern läßt sich auch sonst nicht lumpen. Mit elf Mark je 50-Mark-Aktie zahlt er für 1987 die höchste Dividende einer bundesdeutschen Publikumsgesellschaft.

Zum 125jährigen Bestehen des Unternehmens hat sich Bayer zur Eröffnung der Hauptversammlung eine halbstündige Filmvorführung einfallen lassen: „An der Schwelle zur Zukunft“ heißt das PR-Machwerk, das sich die Aktionäre mitansehen müssen. Danach werden die Scheinwerfer alleine auf den Vorstandsvorsitzenden des Bayer-Konzerns, Hermann Josef Strenger, ausgerichtet, der stolz die Leistungen seines Unternehmens bilanziert.

Seit einigen Jahren haben die Umweltschützer die anachronistischen Rituale solcher Aktionärs -Hauptversammlungen aufs Korn genommen und treten dort als „kritische Aktionäre“ auf, gerade auch bei den Chemie -Multis. Bei der diesjährigen Bayer-Hauptversammlung haben sie annähernd 60 Gegenanträge gestellt, zu denen der Vorstand vor den Aktionären nach dem Gesetz sämtlich Stellung nehmen muß. Bayer-Boß Strenger entledigt sich dieser fast einstündigen Pflichtübung zunächst mit künstlicher Aufgeregtheit und einem rüden Rundumschlag gegen diese „selbsternannten kritischen Aktionäre, die in Wahrheit Gegner unseres Unternehmens sind“. Nicht einmal im Jubiläumsjahr, ereifert sich Strenger, hätten diese von der DKP und den Grünen gesteuerten Funktionäre“ die Hauptversammlung mit ihren Anträgen unbehelligt gelassen und wiederum „das Unternehmen und seine Mitarbeiter in schlimmster Weise kriminalisiert.“ Der Vorstand müsse diese „Gegenanträge“ allesamt zurückweisen, weil es sich hierbei um „haltlose Vorwürfe, dreiste Verdrehungen und arge Verleumdungen“ handele.

So haltlos wiederum können die Vorwürfe nicht sein. Denn als der Vorstands-Chef endlich zur Sache, den konkreten Anträgen kommt, da muß er dann immer wieder die dort beschriebenen Tatbestände mehr oder weniger einräumen. So gibt er etwa Störfälle zu, bei denen giftige Reststoffe in den Rhein geflossen sind und er spricht anläßlich des Todes eines Mitarbeiters im Bayer-Werk Dormagen von einem „tragischen Zwischenfall trotz all unserer Sicherheitsbemühungen“ und davon, daß die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen wegen dieses Verpuffung-Unglücks noch immer nicht abgeschlossen habe. „Mülltourismus und Fremdentsorgung“ finde bei Bayer nicht statt, behauptet Strenger zunächst. Schließlich muß er aber auch hier eingestehen: Auf die ausdrücklichen Wünsche „von Behörden und Politik“ würden in dem sogenannten „Allesschlucker“ des Bayer-Werkes Brunsbüttel „zum Selbstkostenpreis“ auch Fremdabfälle entsorgt.

Aber es gibt auch die Vorstandstreuen. Karl Martius, Vorsitzender der Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre, drischt zunächst einmal auf die „kritischen Aktionäre“ ein, „diese scheinbar unbelehrbaren Herrschaften, die unser aller Zeit stehlen“. Dann ruft er alle Bayer-Aktionäre auf, „als Miteigentümer“ die stolzen Leistungen dieses Vorstandes anzuerkennen: „Wir sind stolz auf Sie, Herr Strenger, und hoffen, daß es so weiter geht.“ Die nächste Dividende müsse, bitteschön, bei 12,50 Mark liegen.

Am späten Nachmittag ändert sich die Tonlage, erhalten auch die „kritischen Aktionäre“, etwa die Sprecherin der „Coordination gegen Bayer-Gefahren“, die evangelische Pastorin Friedel Geisler, das Wort. Die nicht zuletzt wegen ihres Engagements gegen die Umweltsünden des Bayer-Konzerns mit dem Entzug ihrer Amtsbezeichnung bedrohte Pastorin will der härteren Gangart des Chemie-Multis gegenüber den Umeltschützern durchaus auch positive Aspekte abgewinnen: „Ihre wohlgesetzte Polemik hat dazu geführt, daß ihre Einflußnahme auf die rheinische Kirche öffentlich zur Debatte steht. Die Zahl derer, die sich mit ihren Geschäftspraktiken kritisch auseinandersetzen, steigt weiterhin erheblich an, gerade in den Kirchen.“