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Pflicht zum Widerstand gegen das Blockade-Urteil

Martin Hirsch, ehemaliger Bundesverfassungsrichter, wird in der nächsten Woche an der Sitzblockade in Fischbach teilnehmen  ■ I N T E R V I E W

Martin HirschFoto: taz-Archiv

taz: Herr Hirsch, Sie wollen nächste Woche an der Blockade -Aktion gegen das Giftgaslager Fischbach teilnehmen. Darf ein ehemaliger Bundesverfassungsrichter das?

Hirsch: Er darf es genauso wie jeder andere Bürger oder genauso wenig. Ich hoffe aber, daß die Tatsache, daß sich ein ehemaliger Bundesverfassungsrichter mit auf die Straße setzt, mehr bewirkt, als wenn das Lieschen Müller tut. Ich halte es einfach für meine Pflicht, da zu demonstrieren - zu demonstrieren einmal gegen die Giftgaslagerung, aber vor allem gegen das schreckliche Urteil des Bundesgerichtshofes vom 5.Mai zu den Sitzblockaden.

Was ist das Schreckliche an diesem Urteil?

Dieses Urteil ist juristisch katastrophal schlecht und außerdem verfassungswidrig. Im Gesetz steht ausdrücklich, daß eine solche Sitzblockade nur strafbar ist, wenn sie verwerflich ist. Mit anderen Worten, wenn man nur einen privaten Zweck verfolgt, darf man keinen anderen blockieren. Aber der Gesetzgeber - und dazu habe ich als Bundestagsabgeordneter damals selbst gehört - hat ausdrücklich hineingeschrieben, daß das Motiv, weswegen jemand blockiert, eine Rolle spielt. Und der BGH hat jetzt erstaunlicherweise entschieden, daß dieses Motiv überhaupt keine Rolle spielt bei der Verurteilung, sondern höchstens bei der Strafzumessung. Das ist ein glatter Kunstfehler.

Ganz abgesehen davon ist das Demonstrationsrecht ein Grundrecht nach unserer Verfassung, und wenn man dieses Demonstrationsrecht so beschneidet, wie der BGH das praktisch tut, dann ist das verfassungswidrig. Aus diesem Grund ist das, was jetzt da am Wochenende geschieht, ein Akt des Widerstandes nach Artikel 20 des Grundgesetzes. In diesem Artikel steht, daß man nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht hat, Widerstand zu leisten, wenn der Staat etwas tut, was dem Grundgesetz widerspricht und wenn es keine andere Abhilfemöglichkeit gibt. Dieses Urteil des BGH kann niemand ändern. Es gibt also keine andere Abhilfe, deshalb muß ich jetzt die Möglichkeit der Abhilfe über das Widerstandsrecht wahrnehmen, wenn ich ein überzeugter Anhänger der Verfassung und der Demokratie bin. Ich habe meine Erfahrung aus der Zeit vor 33. Da haben wir alle viel zu wenig Widerstand geleistet, und als wir es dann taten , war es zu spät. Deswegen habe ich mir zum Motto gesetzt, daß man den Anfängen wehren muß, und dies ist ein solcher Anfang.

Nun kann nicht jeder Widerstand leisten, dem irgendeine staatliche Maßnahme nicht paßt. Warum ist für Sie gerade hier der Punkt?

Wenn ich der Meinung bin, die Verfassung ist gefährdet und keine andere Möglichkeit sehe, die Verfassung zu schützen, muß ich Widerstand leisten, und das tue ich in diesem Fall, indem ich mich dorthin setze und andere Leute auffordere, das auch zu tun.

Sie sagten, Sie haben damals selber als Abgeordneter an dem Gesetzgebungsverfahren mitgewirkt. Was war damals intendiert?

Es gab immer einen Nötigungsparagraphen, und der ist auch notwendig. Aber er muß natürlich seine Grenzen haben, und wir haben damals bewußt das Wort „verwerflich“ in das Gesetz aufgenommen. Wenn ich auf der Autobahn jemanden mit der Lichthupe auf die andere Seite drängeln will, dann mache ich mich natürlich der Nötigung strafbar. Wenn ich aber für einen Zweck, der nicht mein persönliches Interesse berührt, der in dem Fall Fischbach sogar der Wahrung des Völkerrechts dient - denn die dort gelagerten Giftgase sind ja völkerrechtlich verboten -, dann ist eine Blockade dagegen doch nicht rechtswidrig.

Bisher war umstritten, wo die Grenze der Bösartigkeit beim Nötigungsparagraphen liegt. Aber zu sagen, das Motiv einer Blockade spielt überhaupt keine Rolle, höchstens bei der Strafzumessung - diese Theorie hatte bisher noch niemand vertreten. Das Gesetz macht der Gesetzgeber, und wenn mir das als Richter nicht gefällt, dann muß ich versuchen, das Gesetz zu ändern. Wenn Richter sich so austoben, daß sie ihre persönliche Meinung an die Stelle des Gesetzgebers setzen, dann sind sie eher Verfassungsfeinde als die, von denen das immer behauptet wird. Eine so krasse Verletzung der Verfassung durch ein Gericht ist mir während meiner ganzen juristischen Tätigkeit nicht untergekommen.

Sie risikieren mit Ihrer Blockade-Aktion und dem Aufruf dazu ganz bewußt, zum Straftäter zu werden. Ist es das erste Mal, daß Martin Hirsch dieses Risiko eingeht?

Martin Hirsch hat demonstriert, als er noch Schüler war, seitdem nicht mehr. Es hat mich in der Vergangenheit manchmal gejuckt, auf die Straße zu gehen. Aber jetzt hat es sich so zugespitzt, daß ich es für meine Pflicht halte, da mitzumachen. Ich kann nicht immer nur den Mund spitzen, aber nicht pfeifen. Sinn dieser Demonstration wird ja auch sein, zu erreichen, daß sich andere Gerichte mit dieser Entscheidung beschäftigen müssen. Schon allein der Aufruf zu der Blockade ist ja eigentlich strafbar, und mit dem tausendfach unterschriebenen Aufruf wird erreicht, daß sich jedes Landgericht, jedes Oberlandesgericht noch einmal mit der Materie beschäftigen muß. Es stand in der Zeitung, mit dem BGH-Urteil sei das für alle Zeiten entschiden, aber das stimmt nicht. Dieser eine Senat des BGH hat das entschieden für den Bereich, für den er zuständig ist. Am Wochenende werden aber Demonstranten aus allen Teilen der Republik zusammenkommen, und damit werden praktisch alle Oberlandesgerichte zuständig. Und über die verschiedenen Oberlandesgerichte werden auch andere Senate des BGH zuständig, die sich dann neu mit der Sache beschäftigen müssen. Und wenn mehrere Senate des BGH eine unterschiedliche Rechtsauffassung haben, müssen sie das Plenum einberufen, und dann entscheiden alle Strafrichter des BGH.

Das wird Jahre dauern.

Aber es wird bis dahin die Gemüter in Bewegung halten, und das halte ich für ganz besonders wichtig. Die Demonstranten müssen ja verzweifeln an diesem Staat, der ein Demonstrationsrecht in seiner Verfassung hat, aber die Leute verurteilt, die es wahrnehmen. Ich möchte mit meiner Teilnahme an der Blockade aber nicht nur den Demonstranten Mut machen, sondern auch den Richtern. Es stimmt nicht, daß nun alle Richter an diese BGH-Entscheidung gebunden sind. Gebunden ist das Oberlandesgericht und das untergeordnete Land- und Amtsgericht, deren ganz konkrete Entscheidungen zu dem BGH-Urteil geführt haben. Aber andere Gerichte sind völlig frei. Da sind die Richter aufgefordert, selber nachzudenken und von der BGH-Entscheidung abzuweichen, um den weiteren Instanzenweg zu öffnen. Da muß man Mut machen, und da muß man auch mit gutem Beispiel voran gehen.

Das Interview führte Vera Gaserow

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