Chinesischer Frühling

■ Chinesische Studenten in den USA kritisieren ihre Altvorderen; eine Zeitschrift, 'China Spring‘, soll die „Bewegung für Demokratie“ auch in die Volksrepublik tragen; Kritiker vermuten Geld aus Taiwan im Hintergrund

Geoffrey Crothall

Anfang 1987 schien die Kampagne gegen „bourgeoise Liberalisierung“ noch in vollem Gang, führende Schriftsteller und Wissenschaftler wurden laufend ihrer Ämter enthoben und aus der Partei ausgeschlossen. Mit der Pensionierung vieler führender Konservativer, die für die Kampagne verantwortlich waren, tauchten viele, die man gerade noch „ausgemerzt“ hatte, wieder auf - und nicht wenige wurden befördert, wie zum Beispiel Professor Fang Lizhi. Da auch der nationale Volkskongreß im April 1987 den festen Willen der Regierung zur Weiterführung radikaler wirtschaftlicher Reformen und der Politik der Öffnung nach außen bestätigt hat, wäre es durchaus verzeihlich, wenn man vergäße, daß es die Kampagne gegen bourgeoise Liberalisierung überhaupt gegeben hat.

Hiergegen aber steht die Tatsache, daß viele Schriftsteller und Wissenschaftler in China sich bis heute auffallend im Hintergrund halten, um ja nichts zu tun oder zu sagen, was womöglich zum Anlaß eines weiteren konservativen Rückschlags genommen werden könnte. Nicht wenige jedoch sind aufgrund ihrer politischen Positionen inzwischen außer Landes gegangen, häufig in die USA, und werden wohl kaum je zurückkehren - es sei denn, ein radikaler Wechsel im politischen Klima Chinas würde stattfinden.

Eine der am lautesten vernehmlichen Sitmmen aus dieser wachsenden Gemeinde der Ausgewanderten ist die Chinesische Allianz für Demokratie (CAD). Ihr Sitz ist in New York, jedoch pflegt sie Verbindungen zu Studenten und Wissenschaftlern in ganz Nord-Amerika, Südost-Asien und - so ist zu hören - auch in den größeren Städten Chinas: Peking, Shanghai, Tianjin und Kanton. China-Spring

Die Allianz ist entstanden aus einem Kreis um die Zeitschrift 'China Spring‘, die Ende 1982 das erste Mal erschienen war; herausgegeben wurde sie von einer Studentengruppe, an deren Spitze Wang Bingzhang stand, ein Absolvent der medizinischen Hochschule von Peking und danach Student in Kanada. 'China Spring‘ wurde an chinesische Studenten in der ganzen Welt verteilt, und im Dezember 1983 versammelten sich 53 zu einem ersten Weltkongreß von 'China Spring‘. Dieser Kongreß beschloß, die Chinesische Allianz für Demokratie als Forum einer chinesischen Demokratisierungsbewegung zu gründen; Wang Bingzhan wählte man zum Vorsitzenden.

Die Allianz versteht sich als natürliche Nachfolgerin des Pekinger Frühlings in den späten siebziger Jahren, der im Zusammenhang mit der Verhaftung der Viererbande eine nie dagewesene Explosion künstlerischer und literarischer Aktivität hervorgebracht hatte. In der Allianz selbst jedoch scheint man merkwürdig unfähig, wirklich neue Ideen zu entwickeln; ihr Manifest fordert das, was seit geraumer Zeit der übliche Ruf ist: Demokratie, Redefreiheit, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und das Ende der Einparteienherrschaft in China. Ihre politische Philosophie verdankt sie offenbar den Drei Volks-Prinzipien Sun Yat -Sens von 1903; bei ihnen geht es um Nationalismus, Demokratie bzw. Volksrecht und schließlich um den Volks -Lebensunterhalt (oft falsch verstanden als Sozialismus). Die Allianz spielt also weniger die Rolle einer politisch-theoretischen Gruppierung als vielmehr die einer kritischen, die sich nicht scheut, grundsätzlich andere Interpretationen der herrschenden Verhältnisse in China vorzulegen.

'China Spring‘ hat in vergangenen Ausgaben das Versagen städtischer Wirtschaftsreform in China und die heimlich weitergeführte Kampagne gegen bourgeoise Liberalisierung zum Thema gemacht; außerdem brachte sie Portraits politischer Gefangener und machte den Versuch, die mögliche Rolle der Allianz in chinesischer Politik zu bestimmen.

In der März-Ausgabe (1988) wurde die Resolution des dritten Kongresses der CAD, der Anfang des Jahres in Washington stattfand, abgedruckt; sie vermittelt vom Reformprogramm in China ein weniger optimistisches Bild als die Regierung es wohl gerne hätte. Chinas Wirtschaftsreformen, so besagt sie, sind in einen Teufelskreis geraten, in dem „Liberalisierung zu Chaos führt, Chaos zu Furcht und Furcht dazu, daß die offenen Türen wieder zugemacht werden“.

'China Springs‘ eigene Auffassung von Wirtschaft ist größtenteils eine Gegenreaktion zum chinesischen System des Staatseigentums, von dem man glaubt, daß es sich als „vollkommen falsch“ erwiesen habe. Man empfiehlt dagegen eine gemischte Ökonomie, in der das Recht auf Privateigentum garantiert ist. Ihrer Meinung nach ist in Ländern wie Süd -Korea, den Philippinen und Taiwan eine wachsende Tendenz zur Demokratisierung sichtbar, und China stehe bisher immer noch fundamental im Gegensatz dazu. Die bisherigen politischen Reformen betrachtet man als rein administrative Maßnahmen.

Solche Position wird durchaus von Fang Lizhi geteilt, der im Februar in einem Interview mit der 'New York Times‘ sagte, daß trotz seiner eigenen Beförderung und der Pensionierung führender Konservativer eine wirkliche Liberalisierung in China noch ausstehe. 'China Spring‘ ist der Meinung, daß die Konservativen ihre Anstrengungen hinter den Kulissen fortsetzen werden, um möglichst alle Maßnahmen zu blockieren, die ihre Macht innerhalb der Partei bedrohen würden.

Taiwan kommt bei ihnen allerdings sehr viel besser weg. Die Zeitschrift argumentiert, daß der wirtschaftliche Erfolg Taiwans zeige, daß „die Weisheit und der Unternehmungsgeist des chinesischen Volkes nur der Wirtschaftsfreiheit bedarf, um ein ökonomisches Wunder zu vollbringen“. Diese Auffassung läßt jedoch die kräftige Wirtschaftshilfe außeracht, die Taiwan aus den USA in den vergangenen 38 Jahren konstant zugeflossen ist. Die einzige Kritik, die man an Taiwan formuliert, betrifft die mangelnde Anstrengung des Inselstaates, bessere Beziehungen mit dem Mutterland herzustellen.

Auf dem dritten Kongreß der Allianz wurde Wang Bingzhang als Vorsitzender von Hu Ping abgelöst (er wird aber weiterhin als Stellvertreter eine wichtige Rolle spielen). Hu Pings Ruhm gründet sich auf ein Ereignis von 1980, als er sich als Philosophiestudent der Peking -Universität für die Volksversammlung seines Bezirkes als Kandidat hatte aufstellen lassen, und zwar mit der offenen Forderung nach mehr Demokratie und Redefreiheit. Seine Wahl war eine Sensation, wenn auch die Behörden ihn letztlich daran hinderten, den Sitz einzunehmen. Er verließ China im Januar vergangen Jahres, um seine Doktorarbeit in Politik an der Harvard-Universität zu schreiben. Warum dann die Fehler?

Hu ist ein beredter Mann, der kein Blatt vor den Mund nimmt. Auf den Vorwurf des stellvertretenden Erziehungsministers von China, He Dongchang, gegen chinesische Studenten in Amerika, daß sie nämlich weder Amerika noch China verstünden, antwortete er: „Natürlich kann keiner sagen, daß er jemals ein Land ganz und gar versteht. Aber ich glaube, ich kenne China ganz gut und begreife auch einiges von Amerika. Als Männer wie Deng Xiaoping und Zhou Enlai in den zwanziger Jahren zum Studium nach Frankreich gingen, war ihr Wissen über den Westen dagegen vergleichsweise gering - und ihr Wissen über China übrigens auch. Unsere Generation der Zwanzig- bis Dreißigjährigen hat die Kulturrevolution erlebt; wir sind aufs Land geschickt worden, wir waren Arbeiter, wir haben alles Mögliche gearbeitet und dabei erlebt - und dann erst sind wir in den Westen gegangen; unsere Erfahrung ist beträchtlich. Sie (Deng Xiaoping et al) hatten von diesen Dingen keine Ahnung. Wenn sie China so gut verstanden haben, wie kommt es dann, daß sie so viele Fehler gemacht haben?“

Viele der 27.000 chinesischen Studenten, die zur Zeit in den Vereinigten Staaten studieren, denken vermutlich genauso wie Hu Ping. Immerhin unterschrieben eintausend von ihnen den von der Allianz formulierten Brief an die chinesische Botschaft in Washington, in dem sie gegen die Entlassung des Generalsekretärs Hu Yaobang im Januar 1987 protestierten. Die meisten aber sind nicht an Politik interessiert - und das Mißtrauen gegenüber denen, die politisch sind, ist groß. Wie sagte einer kürzlich: „Ich liebe mein Leben, nicht die Politik.“

Ein anderer Chinese, der nicht übermäßig begeistert ist von 'China Spring‘, ist Liang Heng, Koautor der Bücher Sohn der Revolution und Rückkehr nach China. 1982/83 arbeitete er noch zusammen mit Wang Bingzhang, dessen aggressiver politischer Stil ihn jedoch bald abstieß. Inzwischen hat Li seine eigene Zeitschrift gegründet, 'The Chinese Intellectual‘, die sich besonders dem intellektuellen Austausch zwischen China und dem Westen widmet. Im Gegenzug ist er seinerseits von 'China Spring‘ dafür angegriffen worden, die chinesische Regierung nicht scharf genug zu kritisieren.

Das Mißtrauen chinesischer Studenten gegenüber der Chinesischen Allianz für Demokratie wird nicht gerade kleiner durch den Verdacht, daß sie von der Nationalistischen Partei Taiwans, der KMT, finanziert wird. Die liberale politische Plattform der Allianz und ihre Forderung nach Wiedervereinigung von Taiwan und der Volksrepublik sind der Politik des progressiven Flügels dieser Partei in der Tat sehr ähnlich. Die Allianz dementiert diese Verbindung, gibt aber zu, daß sie finanziell von einem taiwanischen Geschäftsmann gestützt wird. 'China Spring‘, das mit einer regulären Monatsausgabe herauskommt und einer zusätzlich in englischer Sprache erscheinenden Sammelausgabe, die alle zwei Monate erscheint

-und beide sind fast ohne Anzeigen -, kann von den Abonnenten allein bestimmt nicht leben und wird von irgendwem und irgendwoher ganz sicherlich finanziert. Das Maß der Unterstützung für die Zeitschrift innerhalb Chinas ist natürlich schwer festzustellen. Hu Ping meint, daß eine überwältigende Mehrheit der Studenten und Intellektuellen in China - und viele Arbeiter - ihre Auffasungen teilen. Aber in China ist der Graben zwischen privaten Gedanken und öffentlichen Äußerungen noch immer sehr groß.

Man findet nicht so leicht ein Exemplar von 'China Spring‘ in der Volksrepublik - und gleichermaßen schwer dürfte es für Sympathisanten sein, ihr eigenes Material zu produzieren. Hu Ping ist der Meinung, daß das eigentliche Hindernis für eine Verbreitung der Bewegung für Demokratie das Fehlen einer freien Presse in China ist. Wäre ihre Zeitschrift frei zugänglich, so argumentiert er, würden die Leute die wahre Situation in China begreifen - und ihre Bewegung mächtige Fortschritte machen.

In dieser einen Frage, nämlich daß Information Macht bedeutet, sind sich 'China Spring‘ und die Regierung offenbar einig. Die Männer an der Spitze des Landes haben Zugang zu breitgefächerter Infomamtion aus dem In- und Ausland; für das gemeine Volk aber wird all das nur kontrolliert und verdünnt heruntergetröpfelt, so daß am Schluß nur die übliche Mischung - 80 Prozent Gute-Nachricht, 20 Prozent Nicht-so-gute-Nachrichten - übrigbleibt.

'China Spring‘ hat aus naheliegenden Gründen kein Interesse, über seine Organisationen und Aktivitäten in China detailliert zu sprechen; aller Wahrscheinlichkeit nach aber sind sie damit auf die Universitäten der großen Städte beschränkt. Der 32jährige Yang Wei, ein Aktivist der Allianz, der drei Jahre in den USA studiert hatte, ist kürzlich für seine Beteiligung an den 86er Studentendemonstrationen in Shanghai zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden. Einer seiner Bekannten, Quan Da aus Taiwan, versuchte während des Prozesses als Beobachter in das Gerichtsgebäude zu kommen und wurde sofort ebenfalls verhaftet - und ausgewiesen. Ein weiterer, ursprünglich aus Vietnam stammender Student war in der Lage, zumindest Yangs Eltern über den Fortgang der Verhandlung zu informieren; sie sind über das Schicksal ihres Sohnes lange im Dunkeln gelassen worden. Weniger Studenten

ins Ausland

Im Zusammenhang mit dem Fall Yang Wei haben die Behörden unmißverständlich Stellung bezogen gegen 'China Spring‘ und gegen studentische Aktivitäten. Im Januar 1988 verstärkte die Polizei in Shanghai ihre Maßnahmen gegen Aktivitäten von 'China Spring‘ in der Stadt, und die offizielle Presse verurteilte sie gleichzeitig als „konterrevolutionäre Clique..., die angeführt wird von Renegaten, die ihr Land verraten haben“.

Im März 1988 wurde Hu Pings Reisepaß vom chinesischen Konsulat in New York für ungültig erklärt, und er verlor seinen Posten in der Akademie der Wissenschaften, an deren Philosophie-Institut er Mitglied war. Auch sein Regierungsstipendium, das ein einflußreicher Freund aus der Akademie ihm verschafft hatte, wurde gestrichen. Berichten der chinesichen Nachrichten-Agentur (Zhongguo Xinwen She) zufolge wurde Hu zu einem Treffen der Bildungsabteilung in der chinesischen Botschaft gerufen, auf dem man ihm riet, als Vorsitzender der Chinesischen Allianz für Demokratie zurückzutreten und seine politische Aktivität aufzugeben. Hu hat diesen freundlichen Rat jedoch offenbar nicht angenommen.

Die 'International Herald Tribune‘ berichtete, daß man in Peking als Teil einer größeren Kampagne zur Dämpfung westlicher Einflüsse plant, die Zahl chinesischer Studenten im Ausland drastisch einzuschränken. Die Behörden sind besorgt über die wachsende Zahl von Studenten, die nach einem Auslandsaufenthalt nicht nach China zurückkehren. In den USA, wo es einigermaßen leicht ist, sein Visum verlängern zu lassen, sind seit 1979 von 36.000 Studnetne weniger als 9.000 zurückgekommen. Studenten geben jetzt an und sie berufen sich hierfür auf Gespräche mit Konsularbeamten -, daß die Zahl der Studenten im Ausland demnächst auf 3.000 gesenkt würde, und nur 600 Plätze seien für die USA vorgesehen. Von chinesischen Studenten in Großbritannien erfährt man, daß britische Behörden gebeten worden seien, die Visa graduierter Studenten nicht mehr zu verlängern. Zusätzlich zu diesen Maßnahmen sollen Studenten vor ihrer Reise ins Ausland Verträge unterschreiben, die ihre Rückkehr garantieren.

Die 'Volkszeitung‘ berichtete im März, daß die Familie eines Lehrers, der von seinen Studien in Japan nicht rechtzeitig zurückgekehrt sei, mit einer Geldstrafe von 23.000 Yuan belegt worden ist (das durchschnittliche Jahresgehalt eines Lehrers beträgt etwa 1.250 Yuan).

Einem alten Mao-Spruch folgend, wonach „was schlecht ist, auch gut“ ist, sieht 'China Spring‘ in den öffentlichen Angriffen der KPCh auf sie auch eine Bestätigung dafür, daß sie tatsächlich eine politische Kraft darstellen, mit der gerechnet werden muß. Hu Ping meint, daß die Menschen in China durch die Publizität des Falles Yang Wei gelernt haben, den Namen der Zeitung mit der Bewegung für Demokratie, mit Opposition zu KP und mit anderen Namen von Dissidenten wie Fang Lizhi in Verbindung zu bringen. Wenn auch zur Zeit noch keine formale Bindung zwischen 'China Spring‘ und Fang Lizhi existiert, so sieht Hu Ping doch hoffnungsvoll dem Tag entgegen, an dem sie endlich zusammenarbeiten können.

Dieser Tag jedoch scheint noch in weiter Ferne. Die fehlenden Möglichkeiten für 'China Spring‘, in der Volksrepublik frei zu operieren, die neue Politik der harten Hand gegen die Studenten, und nicht zuletzt der Schatten einer möglicherweise allzu engen Verbindung zwischen ihnen und Taiwan haben dafür gesorgt. Vorläufig jedenfalls wird die Chinesische Allianz für Demokratie wohl noch eine Armee im Exil bleiben.