taz-Serie: Weltbank: Tanz der Vampire
: IWF und das Mexiko-Syndrom

■ Die "institutionalisierte Revolution" als Experimentierfeld des IWF / Verewigung der Verschuldung / Die mexikanischen Cäsars und Neros zündeln am eigenen Haus / Neuer Hoff

Teil 14: Raul Rojas

Mexiko spielt seit 1982 eine zentrale Rolle in der nunmehr schon sechsjährigen Verschuldungskrise. Erst als Auslöser der Krise und später als „Musterschuldner“ des Internationalen Währungsfonds, hat das Land immer wieder als Experimentierfeld für neue Strategien und orthodoxe Lösungsvorschläge gedient, die Außenschuld von 110 Milliarden Dollar zu bewältigen.

Es ist auch klar, warum: Im Unterschied zu anderen lateinamerikanischen Ländern ist Mexiko seit 1929 eine Insel der politischen Stabilität, wo eine und dieselbe Partei die Politik des Landes bestimmt. Zivile Regierungen lösen zivile Regierungen reibungslos ab. Der jeweils amtierende Präsident bestimmt selbst seinen Nachfolger, so daß eine Art Monarchie der „institutionalisierten Revolution“ entstanden ist. Unter solchen Voraussetzungen läßt sich gut wirtschaftspolitisch experimentieren. Die Mexikaner lassen sich scheinbar alles gefallen.

Diese Zeiten scheinen jedoch zu Ende zu gehen und die Nervosität der regierenden Partei steigt, je näher die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen rücken. Am 6.Juli wird gewählt, und zum ersten mal seit Jahrzehnten steht die Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) vor einer wirklichen Bewährungsprobe.

Die Herausforderung kommt diesmal nicht nur von der linken und bürgerlichen Opposition, sondern aus den eigenen Reihen. Cuauhtemoc Cardenas, früherer Gouverneur des Bundesstaates Michoacan und Sohn des legendären Generals Lazaro Cardenas, ist aus der PRI ausgetreten und zum Präsidentschafts -Kandidaten eines Zusammenschlußes mehrerer Parteien geworden. Anfang Juni wurde die Kandidatur von Cardenas zusätzlich aufgewertet, als der Kandidat der PMS (Mexikanische Sozialistische Partei) seine Kandidatur zugunsten von Cardenas zurückzog.

Nachdem dies bekannt wurde, verstärkte die PRI das Krisenmanagement und die Vorbereitungen für eine gigantische Wahlfälschung wurden weiter vorangetrieben. In Druckereien in Mexiko City ließ die PRI Millionen von Stimmzetteln zusätzlich drucken, um die schon selbst gesetzte Marke von 20 Millionen Stimmen für die Partei auf jeden Fall zu erreichen.

Die Macht mit Devisen

erkaufen

Der Kernpunkt der Auseinandersetzungen im Wahlkampf ist die verheerende ökonomische Lage des Landes. Seit 1982 sind die realen Löhne der Arbeiter fast bis auf 50 Prozent ihres früheren Wertes gefallen und das Pro-Kopf-Einkommen der gesamten Bevölkerung wird mit Sicherheit 1990 unter dem Niveau von 1981 liegen. Die Inflationsrate schnellte im Januar drastisch nach oben, so daß hochgerechnet bis Ende des Jahres eine Rate von von 170 Prozent zu erwarten wäre. Von einer ökonomischen Wiederbelebung ist nichts zu spüren.

Weitere sechs Jahre im Amt sind der PRI aber lieb und teuer. Wegen des unerwarteten Anstiegs der Erdölpreise im letzten Jahr konnte Mexiko die Devisenreserven der Zentralbank zeitweise bis auf 14 Milliarden Dollar aufstocken. Innenpolitisch wurde diskutiert, wie diese plötzliche Devisenflut genutzt werden sollte.

Die rechte und linke Opposition forderte, dieses Geld in Mexiko zu investieren, um die Konjunktur wiederzubeleben oder damit einen Teil der Schulden mit einem Abschlag von den Banken zurückzukaufen. Von staatlichen Investitionen wollte die mexikanische Regierung jedoch nichts wissen. Schließlich hatte sich diese Regierung bis dahin große Mühe gegeben, den öffentlichen Sektor zu demontieren. Stattdessen wurde - in enger Zusammenarbeit mit IWF und der Regierung Reagan - versucht, die Reserven für eine Umtauschaktion mit den Banken zu benutzen: Die Banken sollten bis zu 20 Milliarden alte Schulden gegen etwa 10 Milliarden „neue Schulden“ austauschen. Der Umtausch sollte mit amerikanischen Anleihen garantiert werden. Die Banken gingen auf das Angebot jedoch nicht ein, da die mexikanische Regierung selbst erklärte, daß sie zwischen alten und neuen Schulden keinen Unterschied machen würde.

Statt die neue Schulden als „senior debt“ zu erklären, das heißt als Schulden, die bevorzugt bedient werden sollten, ließen die mexikanischen Finanzgenies wissen, daß Mexiko voll zahlungsfähig sei und beide Typen von Schulden voll bedienen würde. Die banking community teilte diese Einschätzung nicht. Statt der erwarteten 20 Milliarden Dollar wurden dann auch nur etwa 3 umgetauscht, und dies zu Bedingungen, die die angezielte Schuldenreduktion lächerlich machte.

Die 14 Mrd Dollar Devisenreserven wurden also einer anderen Verwendung zugeführt, nämlich um die Wahlen zu gewinnen. Im Eiltempo wurde im März der „Pakt der ökonomischen Solidarität“ (PSE) ins Leben gerufen. In dem Pakt, der von den PRI-kontrollierten Gewerkschaften und den Unternehmerverbänden unterschrieben wurde, wurde ein Preis und Lohnstopp verhängt, der gerade ausreicht, bis zur Juli -Wahl die Inflationsrate auf fast Null zu drücken. Die Rechnung der PRI scheint bis jetzt aufzugehen: Im Mai wurde eine offizielle monatliche Inflationsrate von nur 1,5 Prozent ermittelt. Die Inflation ist besiegt worden - ließ die Regierung erläutern.

Hoher Preis des

Mobilitätspakts

Aber: Um welchen Preis? Seit Anfang des Jahres wurde die Parität der mexikanischen Währung praktisch eingefroren. Die Preise der staatlichen Dienstleistungen werden konstant gehalten. Die Preise von Produkten, die nicht in dem PSE erfaßt wurden, steigen jedoch weiter an und die Produkte, deren Preise kontrolliert sind, verschwinden langsam aber sicher aus den Regalen. Die Löhne allerdings, schon dramatisch unzureichend, werden rigoros kontrolliert. Jeder weiß, was für ein Spiel hier gespielt wird: Nach den Wahlen wird die zurückgestaute Inflation sich ihren Weg gewaltsam bahnen und der mexikanische Peso wird abgewertet werden müssen. Wie früher in Argentinien oder Brasilien ist das Scheitern einer solchen Antiinflationspolitik vorprogrammiert.

Mit 14 Mrds. Dollar Devisenreserven kann aber auch dieses Fiasko finanziert werden. Mit dem Eintritt Mexikos in den GATT (General Agreement in Tarifs and Trade) hat das Land seine Grenzen für eine neue Flut von Importen geöffnet. Wie 1981, am Vorabend der Krise, können die importierten und geschmuggelten Konsumwaren überall in Mexiko City gefunden werden. Ein importierter Fernseher kostet weniger als ein in Mexiko produzierter. Die Kapitalflucht erlebt ein echtes „comeback“, nachdem viele Jah-re der Unterbewertung der mexikanischen Währung sie ausgetrocknet hatten. Ein mexikanischer Journalist nannte 1981 diese selbstmörderische Politik das „Sodoma-Syndrom“. Die Währungsreserven erlauben es, bis Juli ein neues Sodoma zu erkaufen.

Mexiko als

Experimentierfeld des IWF

Eines muß man dem IWF anerkennen: Er hat es in weniger als sechs Jahren geschafft, das stabilste Land Lateinamerikas zu destabilisieren. Was die Guerilleros in den sechziger oder die große Arbeiteroffensive in den siebziger Jahren nicht schafften, haben die grauen Herren des IWF erreicht. Die PRI steht am Rande eines Kollaps.

Mexiko ließ sich seit 1982 als Laborkaninchen für verschiedenartigste Schuldenstrategien benutzen, weil in diesem Land die Regierung keine Wahlen zu bestreiten hat. Die Regierung fabriziert ihre eigenen Wahlen und erteilt sich selber Legitimität.

So war die mexikanische Umschuldung von 1983 richtungsweisend für andere Länder. Die konjunkturelle „Liquiditätskrise“ konnte durch die Umschuldungen der kurzfristigen Kredite - dachte der IWF - überwunden werden. Als die Rechnung weder in Mexiko noch anderswo aufging, wurde mit Mexiko weiter experimentiert. Die langfristigen Schulden wurden 1984 umgeschuldet und ihre Fälligkeit bis ins Jahr 1998 gestreckt. Das „mexikanische Modell“ diente daraufhin als Vorbild für die Umschuldungen von Brasilien und Argentinien.

Die langfristigen Umschuldungen lösten aber die Krise nicht, und der alte „Wachstumspfad“ wurde nicht erreicht. Die Schuldenprobleme würden alleine in die Zukunft verlängert. So schritt die Verschuldungskrise mit Sieben -Meilen-Stiefeln in ihre nächste Phase: Neue Kredite, so die Hoffnung, sollten die verschuldeten Länder aus der Schuldenfalle holen. Die Banken ließen sich aber nicht auf neue Kredite ein und dieses Modell scheiterte, so wie auch die Versuche, durch „orthodoxe“ Schocks die Wirtschaft zu reorganisieren.

Während aber die Verschuldungskrise eine Regierung nach der anderen stürzte (in Brasilien, Bolivien, Peru, den Philippinen, Nigerien, etc.) und die neuen Regierungen sich unwillig zeigten, dem IWF bis zur Selbstvernichtung zu folgen, gab es in Mexiko keine große Überraschung. Das Land war für den IWF und die Bankiers berechenbar. Vergessen waren die Zeiten, als Präsident Lopez Portillo im August 1982 seinen Unterhändlern in Washington beim Ausbruch der Verschuldungskrise per Telefon zurief: „Laßt Rom brennen“. Die mexikanischen Cäsars und Neros entschieden sich dafür, statt das internationale Finanzsystem das eigene Haus zu entzünden.

Der jüngste Skandal, der während des Wahlkampfes bekannt wurde, eröffnet traurige Perspektiven für die ökonomische Zukunft des Landes. Die Erdölreserven des Landes wurden über Jahre zu hoch angesetzt. Statt Erdöl für die nächsten 70 Jahre, kann - nach der Berechnung von Cuauhtemoc Cardenas das Land die Produktion nur noch bis zum Jahr 2000 auf dem heutigen Niveau halten. Danach wird Mexiko zum Erdölimporteur degradiert werden. Der Grund liegt in der mit der Verschuldungskrise und dem daraus resultierenden Devisenzwang beförderten irrationalen Ausbeutung der Erdölquellen. So verschleudert Mexiko zu lächerlichen Preisen seinen bedeutendsten Rohstoff. Das Land marschiert friedlich in die Katastrophe.

Aber nach dem 6.Juli vielleicht nicht mehr so friedlich. 1983 dachte die mexikanische Linke, daß die ökonomische Krise mehr oder weniger von alleine die PRI zum Stolpern bringen könnte. Der damals ausgerufene Generalstreik endete in einer empfindlichen Niederlage der autonomen Gewerkschaften. Der Erfolg von Cardenas im bisherigen Wahlkampf hat aber gezeigt, daß eine programmatische und personelle Alternative das mexikanische Volk in Bewegung bringen kann.

Cardenas verkörpert heute das, was der lateinamerikanische Marxist Mariategui den „revolutionären Mythos“ nannte: In Vorname und Name trägt Cardenas das Erbe des traditionellen mexikanischen Antikolonialismus und Antiimperialismus. Auch wenn am Ende die PRI wie gewohnt die Wahlen verfälscht und deshalb gewinnt, wird Mexiko nach dem 6.Juli nicht mehr dasselbe sein. Ob es weiterhin als Experimentierfeld von IWF und privaten Banken dienen wird, bleibt abzuwarten.