Der Dalai Lama lenkt ein

■ Das geistliche Oberhaupt der Tibeter signalisierte vergangene Woche, daß er die chinesische Regentschaft im Dach der Welt akzeptieren könne / China lehnt Angebot ab

Das geistliche Oberhaupt der Tibeter, der Dalai Lama, schließt eine Zusammenarbeit mit der chinesischen Regierung nicht mehr aus. Erstmals seit der gewaltsamen Besetzung des Dachs der Welt durch die chinesische Armee im Jahre 1950 und seiner Flucht ins indische Exil mit mehr als 100.000 Gefolgsleuten im gleichen Jahr machte das Oberhaupt des lamaistischen Buddhismus in der vergangenen Woche gegenüber Journalisten in Straßburg klar, daß er die chinesische Regentschaft in Tibet akzeptieren könne.

Das Europaparlament aber, das sich die „guten Beziehungen“ zu China nicht gleich wieder verderben wollte, gestattete es den Dalai Lama nicht, - wie geplant - seine Rede zu halten. Er strebt eine Wiederherstellung des tibetischen Territoriums in den Grenzen von 1912 an.

Damals umfaßte das Schneeland mit den Verwaltungsbezirken U -Tsang, Amdo und Kham noch die doppelte Größe der Autonomen Provinz Tibet, wie sie seit 1965 auf Geheiß aus Beijing gegründet wurde. Der Dalai Lama projektiert, das Dach der Welt in ein riesiges Naturreservat zu verwandeln, indem der Umwelt absolute Priorität vor industrieller und landwirtschaftlicher Erschließung zukommt. Alle Tibeter sollen in einer demokratischen, international überwachten Wahl über ihre Zukunft entscheiden können.

Seine Zugeständnisse dafür sind nicht unerheblich. Er erkennt die außenpolitische Vertretung Chinas für das Schneeland an. Im Gegensatz zu seinem Fünf-Punkte-Plan vom vergangenen Jahr fordert er auch keinen Abzug der chinesischen Truppen vom Dach der Welt. Außerdem sichert er zu, daß er sich nach seiner Rückkehr nach Lhasa nicht mehr an der Regierung beteiligen werde.

China hat inzwischen die Vorschläge des Dalai Lama abgelehnt. Ein chinesischer Diplomat berief sich dabei in Genf auf „Chinas geheiligte Souveränität“ über die Region.

Jürgen Kremb