Bekennerschreiben als heiße Kartoffeln?

Christian Ströbele nahm als MdB der Grünen an den Beratungen zum § 130a teil und verteidigte jetzt die taz  ■ I N T E R V I E W

taz: Christian, haben sich Deine Befürchtungen von damals jetzt bestätigt?

Christian Ströbele: Dieses Urteil geht noch weit über das hinaus, was kritische Abgeordnete nicht nur von den Grünen, sondern auch von der SPD vorausgesagt haben. Dieses Urteil berücksichtigt überhaupt nicht, daß es sich hier um eine Veröffentlichung in einer Zeitung handelt. Es setzt die Veröffentlichung in der Zeitung mit einem Flugblatt mit dem Bekennerbrief gleich. Und das ist ein krasser Verstoß auch gegen die Intention, die damals von den Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung geltend gemacht wurde. Damals wurde gesagt: Die Pressefreiheit darf natürlich in keiner Weise tangiert werden und eine Dokumentation der Zeitgeschichte soll nach wie vor möglich sein.

Das hat das Gericht jetzt anders gedreht. In welcher Weise?

Das Gericht hat gesagt, es kommt allein darauf an, was in dem redigierten, also gekürzten Text dieser Bekennerbriefe steht, und es kommt überhaupt nicht darauf an, ob das in einer Zeitung veröffentlicht worden ist.

Die Koalitionsfraktionen haben damals sogar sehr ärgerlich reagiert, wenn man ihnen gesagt hat, mit dem 130a wird in die Pressefreiheit eingegriffen. Die haben immer gesagt: Wir haben soviele Schranken eingebaut, daß das gar nicht möglich ist. Die Befürworter haben argumentiert, eine Schrift müsse dazu bestimmt sein, aus ihrem Inhalt heraus - und da kommt es auf die Gesamtumstände an - zu einer Gewalttat anzuleiten, und sie haben weiter gesagt, Berichterstattung über Zeitgeschehen solle ausdrücklich von dieser Vorschrift ausgenommen sein.

Dieses Urteil wird in erster Linie eine linke Öffentlichkeit betreffen. Wie sollten Presseleute jetzt mit Bekennerschreiben umgehen?

Wenn das Urteil so Bestand haben sollte, könnte ich als Anwalt nur raten, künftig Bekennerschreiben wie heiße Kartoffeln zu behandeln und Diskussionen nur klammheimlich zu führen.

Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen?

Sicher nicht, aber das Schlimme ist, daß wir in Berlin nur noch eine Instanz haben, das Kammergericht, und daß es nicht möglich ist, diese Entscheidung eines Berliner Gerichts dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen. Ich wäre fast sicher, daß das Bundesverfassungsgericht diese Entscheidung nicht hinnehmen würde. Hier müßten sich eigentlich die gesamte Presse und das gesamte Rechtsverständnis, was Presseveröffentlichungen zu Grunde liegt, auflehnen, denn diese Entscheidung ist ein tiefer Eingriff in die Pressefreiheit.

Interview: Vera Gaserow.