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150 Verschüttete bei Erdrutsch in Türkei

Einen Tag nach der Katastrophe haben Rettungsmannschaften erst drei Verschüttete geborgen / Unglück war vorhersehbar / Ökosystem der Region wurde zerstört / Bergungstruppen chaotisch organisiert / Streit zwischen Bevölkerung und Rettungsmannschaften  ■  Aus Istanbul Ömer Erzeren

Etwa 150 Menschen sind aller Wahrscheinlichkeit nach Opfer des Erdrutsches geworden, der nahe der Kleinstadt Maoka, 29 Kilometer von der türkischen Schwarzmeerküste und der Stadt Trabzon entfernt niederging. Fünf Überlandbusse, mehrere Kraftfahrzeuge und zwei Kaffeehäuser versanken unter den Erdmassen auf der Straße von Erzurum nach Trabzon.

Rettungsmannschaften haben am Freitag morgen die Suche nach Verschütteten fortgesetzt. Bisher konnten erst zwei Personen lebend, eine tot geborgen werden.

Bereits Mittwoch Mitternacht hatte sich die Katastrophe durch eine Schlammlawine angekündigt.

Die Transitstrecke vom Schwarzen Meer in den Iran verschüttete. Die Strecke wurde daraufhin geschlossen. Die in den Kaffeehäusern auf Öffnung der Straßen wartenden Reisenden wurden nicht vorgewarnt, bis sie Donnerstag morgen von den abstürzenden Berg- und Erdmassen überrollt wurden. Über 500.000 Kubikmeter Erdreich ist abgerutscht. Dauerregen und nachfolgende kleinere Erdbewegungen erschweren die Bergungsarbeiten vor Ort.

Die östliche Schwarzmeerregion ist in der Vergangenheit stets Erdbewegungen ausgesetzt gewesen. Die Abholzung von Wald durch Bauern, um Haselnüsse oder Tee anzubauen, führt dazu, daß die großen Regenfälle - in den vergangen fünf Tagen allein fielen 16 Liter pro Quadratmeter - Erdmassen abtragen. Bodenerosion und Überschwemmungen sind die Folge. Der Raubbau an der Natur zerstört die gewachsenen Ökosysteme der Region. Auch die vor einigen Jahren begonnenen Straßenbauarbeiten an der Transitstrecke sind nach Ansicht türkischer Geologen verantwortlich für die Katastrophe.

In den vergangenen Jahren haben Felsbrocken, die auf die neu gebaute Straße abstürzten, das Unglück angekündigt. Mehrere Petitionen des Dorfvorstehers, Sicherheitsvorkehrungen zu treffen und behutsam beim Straßenbau vorzugehen, wurden nicht zur Kenntnis genommen.

So kam es nach dem Unglück zu Auseinandersetzungen zwischen der Bevölkerung und den chaotisch organisierten Bergungstruppen, die den Ort absperrten. Die Zeitung 'Günes‘ zitiert einen alten Mann, der dem herbeigeeilten Minister wütend zurief: „Mein Herr, wenn Sie verantwortungslos das Gleichgewicht der Natur zerstören, wenn sie das Grün zugrunderichten, dann wird Gottes Zorn groß sein!“

Auf ein Hilfeersuchen des türkischen Gesundheitsministeriums hat die Deutsche Rettungsflugwacht (DRF) am Donnerstag abend Rettungspersonal, Operationsmaterial und Zelte in das Katastrophengebiet geflogen. Etwa zwölf deutsche Ärzte sollen folgen.

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