Das Plagiat des Plagiats des Pla...

Die Prozeßposse des Monats: Ein Autor verklagt Rowohlt wegen abkupfern seiner Gedichte / Rowohlt-Anwälte: Der hat ja selbst abgeschrieben / Die inkriminierte Buchanthologie war Satire pur gegen den narzißtischen Schwulst und Schwund vieler Jungautorinnen  ■  Aus Hamburg Ute Scheub

„Heute nacht mit der bangen Frage aufgewacht, ob ein Tagebuch wirklich die angestrebte Versöhnung zwischen Ich und Mir bringen kann“, notiert ein Klaus Jessenow in seinem „Tagebuch zur Herausgabe eines Tagebuchs“. Eine ernstzunehmende und gar existenzialistische Frage, fürwahr, so ernstzunehmen wie die ganze Rowohlt-Anthologie „Ich mal wieder - ein selbstverliebtes Lesebuch“, in das sich mit Blut, Schweiß und Tränen vieler anderer AutorInnen auch die Jessenowschen Selbstzweifel ergießen durften.

Ebenfalls ernst, sogar ernsthaft empört reagierte der 24jährige Berliner Nachwuchsdichter Uwe Morawetz auf das Sammelbändchen. Ein gewisser Rainer Madonna Degenthoff, so ließ er den Rowohlt-Verlag über seinen Anwalt wissen, habe aus seinen im Margot Lang Verlag erschienenen Buch „Fremdkörpergefühle“ Texte abgekupfert und nur wenig verändert in „Ich mal wieder“ veröffentlicht. Eine Zivilklage wegen Urheberrechtsverletzung sei in Vorbereitung.

Ernst, geradezu schuldbewußt boten die Rowohlt-Anwälte sogleich an, das Plagiat anzuerkennen, dem geschädigten Dichter DM 1.000,- zu überweisen und den Autorennamen in der zweiten Auflage zu korrigieren. Nur ein Ansinnen verweigerten sie: zu eröffnen, wer sich hinter dem Pseudonym „Rainer Madonna Degenthoff“ verbirgt. Und der folgende Satz hätte die Gegenseite eigentlich warnen müssen: „Seien Sie aber ... versichert, daß es auch nicht im wohlverstandenen Interesse Ihres Herrn Mandanten liegen kann, dieses Pseudonym eines bekannten deutschen Dichters zu lüften.“

In der Tat, nun steht Dichter Morawetz wie ein Storch in seinem Salat, nachdem sich der 'Spiegel‘ der Aufgabe des Lüftens gewidmet hatte. Das ganze Buch, so half das Hamburger Zentralorgan allen nach, die es immer no0ch nicht gemerkt hatten, ist Satire pur auf den narzißtischen Schwulst und Schwund so vieler JungautorInnen. Es gibt weder den Tagebuch schreibenden Klaus Jessenow noch Rainer Madonna Degenthoff noch den Buchherausgeber Erwin Kliffert. Hier handelt es sich in Wirklichkeit um den bekannten deutschen Dichter Uli Becker, der sich einen gelungenen Scherz auf den neuen alten Innerlichkeitstrief in der Literatur erlaubte. Eines Tages hatte er in seinem Briefkasten die Gedichte von Uwe Morawetz gefunden, und der hatte in seinen Zeilen so passend vor sich hin gerotzt, geschleimt und existenzialisiert, daß nur noch minimale Veränderungen für die Übernahme in den Satireband nötig waren.

Doch ein von seiner Berufung überzeugter Dichter gibt so schnell nicht auf. Formal bekommt Morawetz in dem gestern begonnenen Zivilprozeß wegen Urheberrechtsverletzung möglicherweise auch recht. Bis zur Fortsetzung der Verhandlung am 2.September will das Hamburger Gericht überprüfen, ob der Gedichteklau als „erkennbare Satire“ unter die grundgesetzlich geschützte Kunstfreiheit fällt oder nicht.

Bis dahin muß aber auch noch eine weitere Pikanterie geklärt werden. Eine Dame in Freiburg namens Karin Sennheiser könne bezeugen, so gab der Rowohlt-Anwalt mit vergnügtem Gesicht bekannt, daß Uwe Morawetz selbst abgeschrieben habe. Zwei der strittigen Texte stammten aus ihrer Feder.

Hat Rowohlt also Plagiate der Plagiate veröffentlicht? Aber hallo. Wie heißt es in einem anderen Morawetzschen Gedicht: „Ich setz mich zu meinem Staubsauger / und streichel ihm die Röhre.“ Fortsetzung bei Degenthoff: „Laß ihn unten ran bei mir / und drück auf seinen Auslöser.“

Die Anregung zu diesen aufwirbelnden Zeilen ist nach dem Verdacht der taz-Autorin ebenfalls abgekupfert worden: Und zwar aus den Prozeßunterlagen des taz-Anwalts. Der hatte weiland den Hamburger „Chaos Computer Club“ gegen die Staubsaugerfirma Vorwerk vertreten, die den Hackern die Verbreitung von Auszügen aus einer Doktorarbeit über die Gefährlichkeit der Staubsauger-Onanie untersagen wollte. Oder war die etwa auch eine Fälschung?