Mißglückte Schwulenhatz

London (taz) - 20.000 Homosexuelle zogen am Samstag in einem Gay-Pride-Marsch durch die Londoner Innenstadt. Vom Hyde Park führte der Zug zum Jubilees Garden gegenüber den Houses of Parliament. Hauptthema war das kürzlich in Kraft getretene Homosexuellengesetz. Seit Ende Mai verbietet die berüchtigte „Klausel 28“ schwulenfreundlichen Stadträten die „absichtliche Befürwortung von Homosexualität“ sowie die Darstellung der gleichgeschlechtlichen Liebe als „angeblich akzeptables Familienverhältnis“. Dennoch sind die wirklichen juristischen Folgen des Gesetzeswerkes aus Frau Thatchers viktorianischer Moralküche noch nicht ausgemacht.

Die Klausel ist zum einen so schludrig formuliert, daß ihr Einsatz vor Gericht kaum möglich sein wird; zudem hatten die Tories vergessen, daß die Lokalverwaltungen für die Bildungspolitik gar nicht zuständig sind, ihnen deswegen in Sachen Schulerziehung auch nichts verboten werden kann.

Einige Labour-regierte Stadtverwaltungen kündigten an, zur Anwendung der Klausel müßte man sie schon gerichtlich zwingen. So können viele Schwulen- und Lesbengruppen vorerst aufatmen, die ihre Staatsknete von den Lokalbehörden beziehen. Sie werden auch in Zukunft im Kampf gegen die in Großbritannien tiefverwurzelten Vorurteile gegen Homosexuelle auf die finanzielle Unterstützung ihnen freundlich gesinnter Stadträte zählen können.

Dabei hatte es im Verlauf des Verfahrens der „Klausel 28“ gar nicht so gut für sie ausgesehen. Zunächst stellte die oppositionelle Labour Party einmal mehr ihr politisches Hinterwäldlertum unter Beweis und stimmte im Unterhaus für das Gesetz. Dann scheiterten im Oberhaus die Versuche einiger liberaler Lords, das Machwerk mit Abänderungsanträgen zu entschärfen. Und auch die Stimmungsmache der notorisch schwulenfeindlichen Boulevardpresse mit Berichten über pro-homosexuelle Propagandaschriften in den Regalen der Stadtbüchereien trug nicht gerade zur vorurteilslosen Information des heterosexuellen Durchschnittsbriten bei. Einige konservative Stadtverwaltungen nahmen das Gesetz schon vor dem Inkrafttreten zum Anlaß, Gelder zu verweigern, so für das Aids-Stück „The Normal Heart“.

Umso erstaunlicher war dann das Ausmaß des außerparlamentarischen Widerstandes. Namhafte Künstler, Regisseure und Schauspieler warnten vor den Folgen des Anti Schwulen-Paragraphen für die Spielpläne der Theater und die Leihbüchereien. In verschiedenen Massendemonstrationen zogen in Manchester und London mehr Menschen auf die Straße als je bei einem sexuellen Thema zuvor. Resultat: Die Anti-Schwulen -Lobby steht nach ihrem juristisch vermasselten Versuch, die Heterosexualität zum Dogma zu erklären, mittlerweile einer durch die Auseinandersetzungen politisierten und wohlorganisierten Schwulen- und Lesbenbewegung gegenüber.

Rolf Paasch