Mozart's unvollendete Vollendung

Der Bremer Domchor und das Bach-Collegium gaben nach ihrer Frankreich-Tour ein Konzert in heimischen Gefilden: Das selten aufgeführte „Requiem“ von Mozart in gerappelt vollem Dom  ■  Von Jürgen Francke

Alle Dombesucher, die am Sonntag dachten, wegen der Ferienzeit bequem einen günstigen Sitzplatz zu bekommen, sahen sich getäuscht. Schon um 19 Uhr waren über dreihundert Plätze besetzt, eine Stunde später war das größte Bremer Gotteshaus gerappelt voll. Der Bremer Domchor und das Bremer Bach-Collegium gaben zum Abschluß ihrer einwöchigen Frankreich-Tour ein Abschlußkonzert in heimischen Gefilden. Unterstützt von vier Solisten und unter der Leitung von Wolfgang Helbich kamen drei späte Werke von Wolfgang Amadeus Mozart zur Aufführung.

Mit dem Ave Verum Corpus (1791) für gemischten Chor, Orchester und Orgel wurde sogleich allen Beteiligten deutlich, wie locker und entspannt der Domchor seine schwierige Aufgabe anging. Durchtrainiert von ihrer Reise boten sie eine kollektive Ausdruckskraft und eine homogene Abstimmung der Stimmlagen, was sich später beim Requiem d -Moll wiederum bestäti

gen sollte.

Zunächst spielte das Bremer Bach-Collegium die Sinfonie in C (1788). Eigentlich war es das Bremer Bach-Orchester, das von Wolfgang Helbich und dem Solo-Posaunisten Achim Kluge mit vorwiegend jungen Musikern aus Hamburg, Hannover, Köln und Bremen auf vierzig Personen aufgestockt wurde. Auch wenn der Bremer Dom nicht von allen Plätzen aus die gleiche akkustische Qualität bot, (im Mittelschiff rauschte der Klang etwas flach über die Köpfe des Publikums hinweg und entwickelte erst in den forte-Passagen seine eigentliche Fülle) so ist es ein Verdienst des Orchesters, dieses schwierige Werk mit akzentuierten Spannungsbögen interpretiert zu haben.

Dieses als Jupiter-Sinfonie bekannte Stück engte auch mit seinem stringenten cantus firmus die künstlerische Bandbreite des Orchesters nicht ein. Höhepunkt hier: Das Finale Molto allegro mit deutlichen Hinweisen auf Mozarts Bach-und Händelstudium.

Danach konnte das zu weiten

Teilen jugendliche und zuweilen recht meditativ rezipierende Publikum den eigentlichen Glanzpunkt des Abends erwarten. Das Requiem d-Moll für Soli, Chor und Orchester ist ein selten aufgeführtes Werk. Zum einen fehlt es wohl den meisten Kirchen an geeigneten Chören und zum anderen stellt sich mit der Besetzung der vier Solisten eine weitere Schwierigkeit dar.

Mozart komponierte das Requiem 1791 als Auftragsarbeit, doch beenden konnte er es nicht mehr. Nach seinem Tode im Dezember desselben Jahres führte sein Schüler Franz Xaver Süßmayr die Arbeit zuende. Von Selbstzweifeln geplagt, seinem Meister nicht entsprechen zu können, vollendete er dennoch das Werk harmonisch und mit bestechendem Einfühlungsvermögen.

Gefühle bestimmen den Verlauf dieser Komposition zur Gedächtnismesse. Dem melancholischen Introitus Requiem aeternam folgt das in eine leichte Heiterheit spielende „et lux perpetua“. Der Bremer Domchor wußte diese Stimmungsüber

gänge wohl zu übermitteln. So folgte mit dem „kyrie eleison“ wiederum die vereinte Stimmkraft des Gesangsensembles. Im „Tuba mirum“ überzeugte zunächst Gerald Dolter, Baß, vom Bremer Theater, im Verein mit der Posaune. Ihm folgten mit Henry Muldrow, Tenor, (seine stark prononcierten Phrasenanfänge wiesen ihn offensichtlich aus Spezialisten für Alte Musik aus), Teresa Seidl, Sopran, ebenfalls vom Bremer Theater, und abschließend Beate Czubak, Alt, eine Oratoriumssängerin aus Köln.

Beim Confutatis setzten die männlichen Stimmlagen kraftvoll ein, um alsdann beim „voca me cum benedictis“ von den

Frauenstimmen aufgefangen und in leichtere, fließende Gesangsströme umgeleitet zu werden. Sehr eindrucksvoll gestaltete sich der geradezu hymnische Wechselgesang „quam olim Abrahae“ im Offortorium Domine Jesu, sowie den anschließenden Hostias.

Nach Sanctus und Benedictus (hier wieder die souveränen Solistenstimmen) erklang das, wie die beiden vorhergehenden Stücke nicht mehr von Mozart komponierte, Agnus Dei. „Ewige Ruhe gib ihnen Herr, und ewiges Licht leuchte ihnen“. Ein stimmungsvoller Abschluß eines überzeugenden Musikabends im Dom und besonders starker und anhaltender Beifall für den Chor.