Halle - Ein müder „Kirchentag von unten“

Parallel zum vierten regionalen Kirchentag der DDR in Halle war die „Szene“ weitgehend unter sich Feten-Atmosphäre mit Diskussionseinlagen - Von der Zukunft der Ausreisemöglichkeiten bis zu IWF und Lenne-Dreieck  ■  Von Katharina Schmutz

Halle (taz) - Am Rande des vierten und letzten regionalen DDR-Kirchentages fand vergangenes Wochenende auch der diesjährige „Kirchentag von unten“ statt. Die OrganisatorInnen hatten es weitgehend unabhängig geplant. Anders als im letzten Sommer in Ost-Berlin, wo sich Tausende Neugierige in die Veranstaltungen der „Kirche von unten“ gemischt hatten, blieb die Szene dieses Mal fast unter sich. Gleich zu Beginn sprach die Vollversammlung eine Art Presseverbot aus, um sich „gegen die Vermarktung und Diffamierung durch die Medien“ zu wehren. „Unbefugte“ FotografInnen und Kamera-Teams wurden vom Kirchengelände verbannt.

Nur einige Hunderte waren aus der ganzen Republik angereist. Die bunte Mischung aus Info-, Bier- und Bratwurstständen, Arbeitsgruppen, Musik, Film und Theater nahm bald den Charakter einer feucht-fröhlichen Fete mit Diskussionseinlagen an. Spannende Auseinandersetzungen, größere Arbeits- oder Aktionsvorschläge blieben aus, Ärgernisse am Rand gab es einige. So hatten Skin-Heads ihren massiven Besuch angedroht, machten ihn jedoch nicht wahr. Die Polizei, die sich vom Treffen fernhielt, griff sich Lederjacken und Irokesenköpfe zur Personenkontrolle in der Innenstadt. Im Keller des Gemeindezentrums hatte jemand Gemälde aufgehängt. Knackige rosa Frauenkörper mit Superbrüsten und Strapsen, wie sie in jedem „Herren-Magazin“ zu finden sind. Sexismus oder Freiheit der Kunst? Die Diskussion schien niemanden so recht zu interessieren. Ein paar Stunden später waren die Bilder verschwunden.

Großen Zulauf fand die Arbeitsgruppe „Menchenrechte in der DDR“, in der sich vorwiegend Leute mit Ausreiseanträgen über Erfahrungen mit Verhaftungen, Verhören und Gerichtsverfahren austauschten. Über die herrschende Rechtsunsicherheit und Willkür waren sich alle einig, aber einer ging dann doch zu weit, als er meinte: „Hier ist es auch nicht besser als im Faschismus.“ Das rief kritische Stimmen auf den Plan, die das Strafgesetzbuch der DDR als „im Prinzip rechtsstaatlich“ verteidigten. Selbst die StaSi könne diese Gesetze nur bis zu einem bestimmten Punkt beugen. In völliger Unkenntnis ihrer Rechte würden sich aber viele Betroffene unter wachsendem Druck bei Verhören oder im Untersuchungsgefängnis zu unnötigen Aussagen hinreißen lassen und damit sich selbst und andere schwer belasten. Es sei daher ganz wichtig zu lernen, wie man gegenüber Polizei und Staat die Nerven behält. Einwurf eines anderen: „Es sind eben nicht alle Helden.“ Sorgen bereiteten Hinweise, die seit einigen Monaten in den West-Medien gehandelt werden: Der Staatsrat wolle demnächst per Gesetz die Ausreise aus der DDR regeln. Möglicherweise würden dann zwar West-Besuche auch für Nicht -RentnerInnen rechtlich festgesetzt, Anträge auf Ausbürgerung jedoch illegal. „Die heute einen Ausreiseantrag stellen, müssen damit leben können, daß es nicht klappt“, meinte eine kirchliche Mitarbeiterin.

Andere Arbeitsgruppen beschäftigten sich mit Wehrdienstverweigerung, Umwelt, Gesundheitswesen, Arbeitsrecht und dem Internationalen Währungsfonds. Denn die hiesigen Auseinandersetzungen um den heraufziehenden Weltbankkongreß stoßen bei einigen Basisgruppen in der DDR auf wachsendes Interesse. In einem Treffen Anfang Juni in Potsdam setzten sich die TeilnehmerInnen mit dem IWF und der Weltbank und vor allen Dingen mit deren Auswirkungen auf die sozialistischen Länder auseinander. Diskutiert und unterstützt wurden dabei auch die Forderungen des BuKo, wie sie vergangenes Jahr in Fulda verabschiedet wurden. In einer „Potsdamer Erklärung“ wird nun von der DDR-Regierung verlangt, sich „auf die Maxime internationaler Solidarität und sozialistischer Verantwortung“ zu besinnen und dem offiziellen Kongreß Unterstützung zu versagen. Außerdem wollen die IWF-Gruppen in der DDR mit einer noch nicht näher geplanten „Aktions-Woche“ den Gegenkongreß in West-Berlin von jenseits der Mauer unterstützen.

Grenzüberschreitend war auch eine Solidaritätserklärung für die BesetzerInnen des „sogenannten Lenn'e-Dreiecks“. Darin wurde nicht nur die „Nichtauslieferung“ des Geländes an den West-Berliner Senat gefordert, sondern auch ein „Ende des Ausverkaufs von Gebieten, Kulturgütern und Ressourcen der DDR an das westliche Ausland“ sowie des Imports von westlichem Giftmüll.

Wer allerdings ein „Frauenthema“ auf dem reichlich müden „Kirchentag von unten“ suchte, wurde enttäuscht. Frauen aus den verschiedenen Städten hatten sich allerdings zusammengetan und unabhängig von Offiziellen und Alternativen ihr eigenes Veranstaltungsprogramm in einer anderen Gemeinde gemacht.