Airbus - vom Flaggschiff zur Titanic

■ Mit dem französischen Airbus stürzte am Sonntag auch ein „Traum von Europa“ ab: der High-Tech-Flieger ohne Flugingenieur sollte die technologische Stärke der EG auf dem Weltmarkt beweisen

Während sich der Euro-Gipfel in Hannover zu neuen Höhenflügen aufmacht, sackte das europäische Vorzeigeobjekt Airbus 320 schwer in die Wipfel. Drei Menschen kamen bei dem Absturz ums Leben. Doch die größte Sorge der kommentierenden Politiker gilt der Unglücksursache: Ein technisches Versagen würde die Absatzchancen des hochsubventionierten Flugzeugs beeinträchtigen.

Berlin (taz) - Mülhausen war nicht die erste Luftfahrtschau, bei der einem staunenden Publikum der neue Supervogel Airbus A 320 vorgeführt wurde. Schon den Gästen der Luftfahrtshow im englischen Farnborough hatte vergangenes Jahr der Atem gestockt, als der „Baby-Bus“, der kleinste aus der Airbus -Familie, plötzlich bedrohlich näher kam, um schließlich in halsbrecherischen 100 Metern Höhe an der Tribüne vorbeizudüsen. Die Piloten sollen indessen fröhlich in ihrem Cockpit gesessen haben. Sie hatten mit grobem Vorsatz alles falsch gemacht, um die angeblich überlegene Sicherheit des ersten vollelektronisch gesteuerten Zivilflugzeugs der Welt zu demonstrieren. Denn wirkliche Fehler kann ein Pilot in diesem Flugzeug eigentlich gar nicht mehr machen. So hatten die Piloten zwar absichtlich zuviel Schub weggenommen und die Maschine gefährlich weit absinken lassen, doch 100 Meter vor der Katastrophe korrigierte die Automatik und gab selbständig Vollgas. In Mülhausen endete ein ähnliches Mannöver am Wochenende mit dem Absturz der Maschine. Unfallursache: unbekannt bzw. „menschliches Versagen“.

Das Unglück von Mülhausen ist ein Schock für die Konstrukteure der Airbus-Industrie, die mit dem hochgelobten A 320 ein neues Kapitel in der zivilen Luftfahrt aufgeschlagen hatten. Ihr „Jahrhundert-Jet“ war die erste Maschine, die von selbst fliegt, vollständig gesteuert von Mr.Computer, der alle Funktionen regelt, überwacht, steuert, aus- und einschaltet.

Der 33 Millionen Dollar teure Vogel, von dem die europäischen Flugzeugbauer bis zum Jahr 2006 insgesamt 8.080 Exemplare verkaufen wollen, gilt als Revolution des Fliegens. Wer die Berichte über die ersten Testflüge liest, muß aufpassen, nicht in den Sog der Schwärmerei zu geraten. Originalton „Stern“:

„Für einen Flug von Frankfurt nach Bremen könnte sich die Arbeit des Piloten darauf beschränken, die Flugnummer in den Computer einzugeben, den Vogel auf die Startbahn zu lenken und alles andere samt Landung den Rechnern zu überlassen. Der Co-Pilot könnte tot zusammenbrechen, eines der beiden Triebwerke ausfallen - der Pilot könnte immer noch ungestört mit der Stewardeßschmusen.“

Ob der französische Pilot von Mülhausen mit der Stewardeßgeschmust hat, ist nicht bekannt. Er soll aber nach eigenen Aussagen kurz vor dem Absturz versucht haben, von Hand Schub zu geben, doch die Maschine reagierte nicht. Computer-Fehler? Nach der Airbus-Philosophie gibt es sie nicht. Die Computer des Jets überwachen nicht nur die Piloten, sie sollen sich auch noch selbst - gegenseitig kontrollieren. Sie können einfach alles: Bei plötzlichen Turbulenzen in der Luft aktivieren sie innerhalb von Millisekunden ein Böenkontrollsystem. Waghalsige Flugmanöver des Piloten wie Loopings, Steilkurven oder Rollen stoppen sie selbständig. Kursabweichungen werden sofort „notiert“ und korrigiert. Bange Frage: Was ist, wenn der Computer schlapp macht? Hier verweisen die Hersteller auf die Alternativ-Rechner, die dann einspringen. Bleibt als größte anzunehmende Panne der totale Stromausfall, der alle Systeme zum Absturz bringen könnte und der den Konstrukteuren erhebliche Probleme bereitete. Ihre Antwort war der Einbau der Ram-Air, einer Art „Windmühle“, die aus dem Rumpf geklappt und vom Fahrtwind angetrieben wird. Sie soll dann über einen Not-Generator den benötigten Strom erzeugen. Bei Ausfall der Ram-Air bleibt als letzte Not-Maßnahme nur das „Vaterunser“.

Gefährdet ist das Hirn des Airbus vor allem durch Hitze. Ein kompliziertes Kühlsystem nutzt die kühle Außentemperatur - gesteuert vom Computer.

Trotz aller Vorschuß-Lorbeeren geriet der A 320 von Beginn an unter Beschuß. Die Pilotenvereinigung „Cockpit“ protestierte vor allem gegen das Zwei-Mann-Cockpit des neuen Vogels. Der Flugzeugingenieur wurde durch die Elektronik genauso wegrationalisiert wie der Steuerknüppel.

Aber auch die neue Super-Technik zeigte von Beginn an ihre Macken. Schon der Jungfernflug ging gründlich schief. Zuletzt war am vergangenen Donnerstag ein gerade ausgelieferter A 320 von Air-France ausgefallen. Weil die Triebwerke beim Start nicht funktionierten, mußten die Passagiere nach drei Stunden Verspätung in eine Boeing 737 umsteigen.

Diese „Kinderkrankheiten“ haben den internationalen Run auf den Airbus nicht aufhalten können. Dahinter stehen handfeste wirtschaftliche Gründe: Durch die Computersteuerung wurde der Vogel sehr viel leichter gebaut und verbraucht deutlich weniger Flugbenzin als die Konkurrenz. Bereits jetzt sind 413 Maschinen ausgeliefert worden, 319 weitere Verkäufe sind vertraglich abgeschlossen.

Neben den wirtschaftlichen Aspekten fasziniert die Airus -Kunden das fliegende Superhirn mit seinen elektronischen Sicherheitsorganen. Trotz aller Pannen eilt dem A 320 nach wie vor der Ruf eines besonders sicheren Flugzeuges voraus. Der Pilot der Unglücksmaschine von Mülhausen hatte noch unmittelbar vor dem Start den A 320 zu seinem Liebling ernannt: „Ich bin sehr stolz diese Maschine zu fliegen, und ich muß sagen, wir haben mehr Sicherheit durch das System, das Fliegen mit Computer.“ Vor allem gebe es bei der Landung „Vollschutz gegen Geschwindigkeitsverlust“ und bei allen Flugmanövern „mehr Präzision“. Glaubt man den Aussagen der Airbus-Industrie, dann konnte der A 320 eigentlich nicht abstürzen. Daß er es doch getan hat, bringt die Sicherheitsphilosophie vom Alleskönner Computer, der auch noch die Fehler der Piloten verhindern soll, ins Wanken.

Manfred Kriener