Geburt ist keine Krankheit -betr.: "Sanfte Geburt in Heidelberg unerwünscht", taz vom 16.6.88, S.5

betr.: „Sanfte Geburt in Heidelberg unerwünscht“, taz vom 16.6.88, Seite 5

(...) Sanfte Geburt ist auch anderswo unerwünscht, nicht nur in Heidelberg.

Die „Apparatemedizin“ feiert weiterhin Triumphe. Die negativen Folgen wollen die Ärzte nicht sehen. Da wird dann von Schicksal, vorgeburtlich und ähnlichem gesprochen. 15.000 bis 20.000 Behinderungen werden jährlich in der BRD durch ärztliche Kunstfehler verursacht. Diese Behinderungen sind vermeidbar.

Und bei der „Nachbehandlung“ dieser Behinderten wird von Ärzten so getan, als ob sie das alles nichts anginge. Für diese Kinder sind dann die staatlichen Sozialstellen zuständig. In seltenen Ausnahmefällen wird diesen Kindern vom Gericht eine Rente zugesprochen. Fast immer kann das Verhalten der Ärzte mit einer „Fahrerflucht“ im Kreißsaal bezeichnet werden.

Durch Fließbandarbeit im Kreißsaal, dazu kommt eine den Ärzten angenehme Geburtszeit, werden Risikogeburten übersehen und andererseits werden Risikogeburten provoziert. Das Ergebnis wollen die Ärzte nicht sehen. Hin und wieder wird aber schon von bedauernswerten Einzelfällen gesprochen.

Das Geburtszimmer in Heidelberg, auch das Geburtshaus in Berlin ist unterstützenswert. Falls es sich bei den Gebärenden doch noch herumsprechen sollte, wie unmenschlich und auch risikoreich eine Klinikgeburt ist, dann hat eine sanfte Geburt vielleicht eine Zukunft.

Die verkrampfte Klinikatmosphäre im Kreißsaal, das Gefühl des Alleingelassenseins, die Hilflosigkeit im Umgang mit dem eigenen Körper, verursachen Streßsituationen, die für Mutter und Kind Gefahren heraufbeschwören. Dazu kommt, die in Ihrem Artikel schon angesprochene Lage der Mutter im Kreißsaal. Es gibt für die Mutter keine Lage, die ungünstiger ist, als das Liegen. Dr. Hans Rauch aus Andernach sagt dazu: Die natürliche Schwerkraft geht verloren. Diese Schwerkraft entspricht etwa der dann später zum Einsatz kommenden Saugglocke.

Die Geburt ist keine Krankheit und gehört deshalb auch nicht in die Klinik. Die Krankenhäuser sollten für Risikogeburten da sein. So könnte auch ein „Abstumpfen“ des Klinikpersonals vermieden werden.

Eine Hebamme sollte während des ganzen Geburtsvorgangs die Mutter betreuen. Solange die Ärzteschaft die irrige Annahme vermitteln kann, eine Gebärende - das heißt, die Ärzte nennen die Geburt Entbindung - wird am besten von Ärzten im Kreißsaal betreut, solange wird sich die sanfte Geburt für viele Mütter nicht durchsetzen. (...)

Christa Sukatus, Berlin 47