Blackout oder Falschaussage?

■ Strafanzeige der Grünen gegen Kohl: Er wußte früh vom U-Boot-Geschäft mit Südafrika / Von U. Sieber

Rettet sich der Kanzler, wie im Flick-Skandal, in den Blackout? Seit gestern müssen wieder die Bonner Staatsanwälte gegen ihn ermiteln. Die Grünen-Abgeordneten Otto Schily und Uschi Eid haben Strafanzeige erstattet „wegen des Verdachts der vorsätzlichen, uneidlichen Falschaussage“. Kohl hatte vor dem Untersuchungsausschuß behauptet, von dem U-Boot-Geschäft mit Südafrika, das nach einer bindenden UNO-Resolution und dem Außenwirtschaftsgesetz illegal war, erst im nachhinein erfahren zu haben. Ein Strauß-Brief an den Kanzler jedoch belegt, daß der rechtzeitig Bescheid wußte.

Das Thema ist nicht minder brisant als seinerzeit Schilys Anzeige in der „Flick-Affäre“. Zur Debatte steht die Komplizenschaft führender Politiker bei einem Rüstungsgeschäft mit Südafrika, das nach geltender Rechtslage nicht hätte genehmigt werden dürfen: Helmut Kohl habe spätestens am 24.Juli 1984 erfahren, daß der Vertrag über die Lieferung von Fertigungsunterlagen unterzeichnet worden war; dem Ausschuß gegenüber „seine frühzeitige Kenntnis des Vertragsabschlusses“ jedoch „bewußt geleugnet.

Damit rückt ein Thema in den Vordergrund der U-Boot-Affäre, bei dem die Abgeordneten im Untersuchungsausschuß bislang nur im Nebel stochern konnten. Die Manager der beteiligten Firmen, der Howaldtswerke-Deutsche Werft AG (HDW) und des Ingenieurkontors Lübeck (IKL), waren - so belegen die vom Ausschuß gesichteten Firmendokumente - immer davon ausgegangen, für den U-Boot-Handel mit Südafrika sei aus Bonn „grünes Licht“ gegeben worden. So fanden die Abgeordneten zwei Vermerke, die Klaus Ahlers, damals Vorstandsvorsitzender der HDW, und Lutz Nohse, Geschäftsführer von IKL, am 31.Juli 1984 nach einem Telefon -Gespräch mit dem Bonner Bundeskanzleramt angefertigt hatten: „Anruf von Herrn Staatssekretär Dr.Schreckenberger, Bundeskanzleramt, am 31.7.84, 13 Uhr“, notierte Klaus Ahlers, um dann Sinn und Zweck des Anrufs so zu formulieren: „Herr Staatssekretär Dr.Schreckenberger hat uns im Auftrage von Herrn Bundeskanzler Kohl telefonisch mitgeteilt, daß der Bundeskanzler und Franz-Josef Strauß unserem Projekt IK 97 in der Mittleren Lösung, d.h. Blaupausen-Export und Zulieferung von Teilen ihre Zustimmung verleihen.“ Der Herr Staatssekretär habe es dann „als sein ausdrückliches Anliegen bezeichnet, die positive Einstellung des Herrn Bundeskanzlers und des Ministerpräsidenten Strauß zu betonen, um die Einleitung des Geschäfts zu ermöglichen“.

Bei IKL, der anderen Firma, hatte Staatssekretär Schreckenberger eine halbe Stunde zuvor angerufen, und Geschäftsführer Nohse notierte danach denselben Inhalt, nur in anderen Worten: „Bundeskanzler und Min.Präsident Strauß haben ein Interesse daran, daß HDW und IKL den Vorgang IK97 ausführen können“.

Lasche Prüfer

Daß zwei bundesdeutsche Firmen den weißen Machthabern Südafrikas Fertigungsunterlagen für den Bau von neuen U -Booten geliefert haben, kam Ende November 86 erstmals an die Öffentlichkeit. Die Oberfinanzdirektion Kiel (OFD) ermittelte gegen die beiden Firmen, stellte das Verfahren jedoch vor ein paar Monaten ein. Begründung: Die gelieferten Unterlagen hätten nicht ausgereicht, um U-Boote zu bauen. Doch es spricht vieles dafür, daß die Prüfer sich von den Firmen einlullen ließen (vgl. taz vom 4.2.88) oder sogar unter Druck gesetzt wurden. Zu viele Fragen sind offengeblieben, als daß die OFD die Aktendeckel einfach hätte zuklappen dürfen. Vieles deutet darauf hin, daß keineswegs nur Blaupausen, sondern auch U-Boot-Teile geliefert worden sind. So gab IKL-Geschäftsführer Nohse den OFD-Prüfern zu Protokoll, der Vertrag habe die Lieferung von Fertigungsunterlagen und Lizenzen (für 116 Millionen Mark) sowie die Ausfuhr von Komponenten zu einem Preis von 307 Millionen Mark umfaßt. Und manches deutet daraufhin, daß sich die Firmen von Anfang an eine „Cover Story“ ausgedacht haben, für den Fall, daß etwas an die Öffentlichkeit durchsickern sollte: Die Lieferungen wären also am 26.August 1985 keineswegs eingestellt worden, wie die Firmen angegeben haben, sondern weitergegangen - mit Wissen der Regierung.

Grüne und SPD haben im Ausschuß laufend neue Vermerke und Notizen aufgespürt, doch der große Sprung nach vorn ist nie gelungen: Die Firmen weigerten sich, ihre Akten vollständig herauszurücken, ihre Manager blieben vor dem Ausschuß stumm.

Staatssekretär Schreckenberger, Kanzlerberater Teltschik, Bundeskanzler Kohl haben immerhin ausgesagt, aber natürlich bestritten, den Firmen jemals „grünes Licht“ gegeben zu haben.

Der Brief

So stand Aussage gegen Aussage. Bis dann Klaus Klingner, neuer SPD-Wirtschaftsminister in Schleswig-Holstein, beim Aufräumen das Mosaiksteinchen fand, das für eine Strafanzeige gegen Kohl bis dahin noch fehlte: einen Brief von Franz-Josef Strauß an den „sehr geehrten Herrn Bundeskanzler“ und „lieben Helmut Kohl“: „Wir haben uns mehrmals über Aufträge aus Südafrika unterhalten“, schreibt Strauß. Und weiter: „Ich habe das letzte Mal bei unserem gemeinsamen Spaziergang darauf hingewiesen, daß der Vertrag über Software in der Höhe von etwa 116 Millionen Mark zwischen den südafrikanischen Partnern und IKL/HDW mit der Klausel abgeschlossen worden ist, daß er nur wirksam wird, wenn bis zum 15. August der Sicherheitsrat die Genehmigung erteilt. Daher ist größte Eile geboten.“

Diesen Brief besitzen die Ausschußmitglieder bisher nur als Kopie, mit einem Eingangsstempel der Firma IKL vom 2.August 1984. Von IKL ist die Kopie dieses Briefes dann vermutlich ins schleswig-holsteinische Wirtschaftsministerium gelangt. Wann Franz-Josef-Strauß den Brief abgeschickt hat, ist aus der Kopie nicht zu ersehen. Genau das Absendedatum ist jedoch von großer Bedeutung, weil damit bewiesen werden könnte, daß das U-Boot-Geschäft am 31.Juli 84 tatsächlich von Helmut Kohl gebilligt worden ist - und die beiden Manager, Nohse und Ahlers, Herrn Schreckenberger durchaus richtig verstanden haben.

Nunmehr ergäbe auch das einen Sinn, was der IKL -Rechtsanwalt Zoglmann am 3.Dezember 1986 bei der Oberfinanzdirektion zu Protokoll gab: daß IKL „zwar ohne formelle Genehmigung, nicht aber ohne Kenntnis offizieller Stellen gehandelt habe und sich erforderlichenfalls noch erheblich besser als bisher verteidigen könne“.

Dank des Strauß-Briefes kann die Klageschrift den Gang der Dinge beinahe lückenlos rekonstruieren: Am 1.Juni 1983 haben Genscher, Kohl und Strauß erstmals über das Geschäft gesprochen. Ein gutes Jahr lang haben die Firmen dann „Sondierungsgespräche“ geführt. Nohse notierte am 17.April 1984: „Ministergespräche verlaufen positiv, höchste Ebene ist für Juni geplant.“

Tatsächlich wurde am 5.Juni Südafrikas oberster Apartheidler Botha von Kohl empfangen. Wie dessen Berater Horst Teltschik später dem Untersuchungsausschuß berichtete, hat Botha auch das Projekt IK97 angesprochen.

„Zustimmung reicht“

Zehn Tage nach diesem Gespräch haben IKL und HdW mit dem südafrikanischen Partner einen Vertrag über die Lieferung von Blaupausen und Lizenzen unterzeichnet, allerdings mit Sperrklausel: Der Vertrag sollte nur dann in Kraft treten, falls die Bundesregierung bis zum 15.8.84 zugestimmt habe.

Der Vertrag wurde wirksam, am 6.August 1984. In einer geheimen Notiz stellten die Vertragspartner fest, daß die Zustimmung der Bundesregierung jetzt in ausreichender Form vorhanden sei. („Approval ist at hand in a manner sufficient enough“.) Sechs Tage davor, am 31.Juli, hatte Staatssekretär Schreckenberger die Firmen IKL und HdW angerufen, um - wie die Manager behaupten, „grünes Licht“ zu geben. Noch einmal acht Tage vorher, am 23.Juli, hatten sich Strauß und Kohl zu dem bewußten Spaziergang verabredet. Danach hat Strauß den Brief an Kohl versandt. Allerdings wurde der Brief „vernichtet“, wie Kanzleramtschef Schäuble jetzt lapidar bemerkte. Ein „Registraturvermerk“ über die an Kohl persönlich gerichtete Post hat sich inzwischen aber gefunden: „31.7.84 MP Strauß: Aufträge aus Südafrika AL2 27.8.“. Und daß damit jener Strauß-Brief gemeint und am 31.Juli beim Kanzleramt angekommen sein „könnte“, hat Minister Schäuble von ein paar Tagen immerhin zugestanden.

All diese Fakten haben die Grünen nun zum Anlaß für eine Strafanzeige genommen. Denn als Bundeskanzler Kohl vor über einem Jahr in den Zeugenstand mußte, hat er eines gleich fünfmal wiederholt: Von dem Vertragsabschluß habe er erst ein Jahr später, im Sommer 85, erfahren: „Daß ein Vertrag zehn Tage nach dem Gespräch (mit Botha, die Red.) unterschrieben wurde, war mir völlig unbekannt. Der Chef des Kanzleramts, Dr. Schäuble, hat mich im Sommer 1985 von dem Vorgang unterrichtet“.)

Das Kanzleramt hat nach der Anzeige einen netten Versuchsballon gestartet und sogar „Konsequenzen“ angedroht

-was das Protokollieren angeht: Wegen der üblichen Wort -Protokoll-Methode könnten „angebliche Widersprüche“ immer „zu solch absurden Anzeigen führen“, ließ Kanzleramtschef Schäuble in einer Zeitung verlautbaren.